Reaktionen auf Frankreich-Wahl: Düstere Mahnungen in Brüssel
Europaabgeordnete fürchten eine absolute Mehrheit des RN in Frankreich. Beim neuen französischen EU-Kommissar will Le Pen bereits mitreden.
![Emmanuel Macron und Olaf Scholz auf Gartenstühlen Emmanuel Macron und Olaf Scholz auf Gartenstühlen](https://taz.de/picture/7095030/14/35440248-1.jpeg)
„Eine absolute Mehrheit für den RN in der Nationalversammlung wäre ein historischer Tiefpunkt für das Frankreich, das wir kennen und als unseren festen Partner schätzen: das Frankreich der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“, sagte etwa René Repasi, Chef der deutschen Sozialdemokraten. „Auf europäischer Ebene und in Deutschland kann dies niemanden gleichgültig lassen“, fügte er hinzu.
Eine Parallele zu den USA und den Niederlanden zog auch Rapasis Kollege Denis Radtke von der Europäischen Volkspartei. In Frankreich „erleben wir das Endspiel unserer liberalen Demokratie“, so der CDU-Politiker vom Arbeitnehmerflügel seiner Partei. 57 Prozent der Arbeiter und 44 Prozent der Angestellten hätten Le Pens Partei gewählt. „In Deutschland schließt sich das Zeitfenster, wenn wir ähnliche Entwicklungen verhindern wollen.“
Die düsteren Mahnungen lassen erahnen, wie tief der Schock sitzt – und wie groß die Konsequenzen für Frankreich, Deutschland und die EU wären, sollte Le Pens Partei im zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit erreichen. Nicht nur die deutsch-französische Zusammenarbeit wäre gefährdet – zum Beispiel in der Energieversorgung, wo die Frontfrau der französischen Rechten den europäischen Strommarkt verlassen will.
Ukraine: Beim EU-Kurs dürfte sich vorerst nichts ändern
Auch die Grundfesten der EU kämen wohl ins Wanken. Denn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron könnte nicht mehr jene tragende und treibende Rolle spielen, für die er bisher in Brüssel geliebt und von manchen auch gefürchtet wurde. Dabei hatte Macron noch vor wenigen Tagen, beim EU-Gipfel Ende der vergangenen Woche, die Fäden gezogen. Der liberale Politiker sorgte mit dafür, dass die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen, die er 2019 von Berlin nach Brüssel geholt hatte, für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin nominiert wurde.
Außerdem meldete er Anspruch auf einen wichtigen Posten in der nächsten EU-Kommission an und nannte schon einen Namen: Thierry Breton, bisher Binnenmarktkommissar, soll bleiben. Doch nun wackelt zumindest diese Nominierung. Le Pens Partei will Macron das Recht streitig machen, den nächsten französischen EU-Kommissar zu bestimmen. Außerdem will sie den französischen EU-Beitrag senken. Der ist zwar noch bis 2027 festgelegt. Doch wenn die Nationalisten die nächste Regierung in Paris stellen, könnte schon bald eine harte europäische Rabattschlacht entbrennen.
Und nicht nur das. Immer wieder ist die Rede von einem Europa, das den Mitgliedstaaten mehr Autonomie geben soll, und weniger von einem Staatenbündnis, das stark kooperiert. Macron hatte in mehreren Grundsatzreden an der Pariser Universität Sorbonne von einem Europa gesprochen, das zu sterben drohe, wenn es nicht gemeinsame Werte verteidige. Diese Marschrichtung dürfte mit einem starken RN – in Zusammenspiel mit anderen rechten Kräften in Europa – ein Ende haben. Denn ganz ähnliche Töne sind auch aus den Niederlanden, aus Ungarn, aus Österreich oder auch seitens der AfD in Deutschland zu hören.
Beim EU-Kurs für die Ukraine dürfte sich indes vorerst nichts ändern. Außenpolitik ist in Frankreich Chefsache und damit auf der Agenda des Präsidenten. Macron hatte sich auf EU-Ebene für einen starken, solidarischen Kurs ausgesprochen, dafür, die europäische Rüstungsindustrie zu stärken und die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine voranzutreiben. In Zeiten, in denen etliche EU-Mitgliedstaaten mit klammen Haushalten kämpfen, dürfte bei EU-feindlicheren politischen Mehrheiten ein geopolitischer und diplomatischer Schulterschluss mit der Ukraine auf der politischen Agenda eher nach unten rutschen.
Tatsächlich dürften aber zunächst bilaterale Vereinbarungen stärker ins Wanken geraten. Wurde die deutsch-französische Freundschaft nach dem Besuch Macrons unlängst bei Bundeskanzler Olaf Scholz aufgefrischt, so war es das dann wohl mit dem Garant für Stabilität im internationalen Superwahljahr. Auch das viel gerühmte wiederauferstandene Weimarer Dreieck, bestehend aus Polen, Deutschland und Frankreich, dürfte an Spannkraft verlieren, wenn Paris keine zuverlässige Kraft mehr ist. In dem Trio wird nun von deutscher Seite vor allem auf den bisher kleineren Partner – Polen – geschielt. Frankreich dürfte bei den für Dienstag angesetzten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen wohl auch ein Thema werden.
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