Reaktion des Sozialsenators: Keine Kinder für Ex-Junkies
Nach dem Tod der elfjährigen Chantal werden Kriterien verschärft. Personen mit Drogen-Karriere sollen kein Pflegekind mehr bekommen. GAL warnt vor Sparkurs
Der SPD-Senat ist bemüht, schnellstmöglich Konsequenzen aus dem Tod von Chantal zu ziehen. Kaum 24 Stunden, nachdem feststand, dass die Elfjährige bei drogenabhängigen Pflegeeltern lebte, kündigte SPD-Sozialsenator Detlef Scheele am Freitagabend Maßnahmen an. Zentrales Anliegen: Personen mit Drogen-Karriere sollen kein Pflegekind mehr bekommen.
Das war bisher offenbar nicht ausgeschlossen. Wie berichtet, hatten die Ersatzeltern von Chantal zwei Pflegekinder. Bereits 2005 beantragten sie für ihr Enkelkind beim damals zuständigen Harburger Jugendamt Pflegegeld.
Zwar beteuert das Amt heute, es habe nichts von der Sucht gewusst, doch auf die Frage, ob substituierte Personen Pflegeeltern werden können, antwortete Scheeles Behörde noch am Donnerstag: dies verstoße gegen die Richtlinien, sei aber in "Notsituationen" möglich, wenn Verwandte wie Großeltern ein Kind aufnehmen wollten und dies "bei einer Güterabwägung die fachlich beste Hilfe für das Kind darstellt".
Rund 500 Kinder wurden 2011 aus den Familien genommen. 3.478 Kinder leben in öffentlicher Erziehung.
In Pflegefamilien leben 1.299 Kinder. Der Vorteil sind feste Bezugspersonen. Für den Unterhalt gibt es je nach Alter des Kindes zwischen 755 und 909 Euro.
In Einrichtungen leben 2.179 Kinder. Meist sind es Lebensgemeinschaften oder Wohngruppen freier Träger. Dort bilden Pädagogen das familiäre Zusammenleben mit Kindern nach.
Kosten im Monat: Pflege 1.064 und Wohngruppen 3976 Euro.
Von dieser Linie weicht Scheele jetzt ab. "Alle Pflegefamilien sollen gleich behandelt werden", schreibt er. Auch Familienangehörige und Freunde des Kindes müssten die allgemeinen Regeln erfüllen. In Zweifel sei "gegen die Eignung als Pflegefamilie" zu entscheiden. Personen mit einer Drogenkarriere sollen künftig "keine Chance mehr haben, ein Pflegekind zu bekommen".
Der Senator will jetzt gemeinsam mit der Gesundheitsbehörde klären, welche Maßnahmen nötig sind, um eine Suchtproblematik auszuschließen. "Das wird noch geprüft", sagt seine Sprecherin Nicole Serocka. Ein genereller Drogentest wäre vorstellbar. Darauf habe man bisher verzichtet, weil es "Misstrauen gegenüber all jenen Pflegeeltern ausdrücken würde, die ihren Job sehr gut machen".
Zum Fall Chantal wird am Montagnachmittag der Jugendhilfeausschuss Mitte tagen. Der Bezirk Mitte und der freie Träger "Vereinigung sozialtherapeutischen Einrichtungen" (VSE) streiten mittlerweile öffentlich darum, wer die Familie 2008 als geeignete Pflegestelle für ein fremdes Kind anerkannte. In den Medien wird über den Rücktritt von Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) spekuliert.
Nach der 16-jährigen Morsal O. und der neunmonatigen Lara Mia starb mit Chantal das dritte Kind, für das Schreibers Jugendamt zuständig war. Noch vor einer Woche hatte der Politiker auf NDR 90,3 erklärt, "dem Kind ging es gut, bis zuletzt. Jetzt ist es tot, das ist tragisch. Aber bis dahin ging es dem Kind gut." Zuletzt waren Jugendamtsmitarbeiter am 4. Januar in der Wohnung, in der mit den zwei leiblichen insgesamt vier Kinder lebten. Laut Abendblatt hatte Chantal nicht mal ein eigenes Bett.
Die jugendpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion Christiane Blömeke sieht den ganzen Senat in der Verantwortung und fordert, den Sparkurs in der Familienhilfe zu hinterfragen. Wie die taz berichtete, plant Scheele den Anstieg der Fallzahlen und der Entgelte bei gesetzlichen Hilfsleistungen bis 2015 auf durchschnittlich 0,88 Prozent zu begrenzen, was bei zwei Prozent Inflation einen Abbau bedeutet. "Das wird den Kinderschutz schwächen", sagt Blömeke.
Um Geld zu sparen, wolle der Senat mehr Kinder in Pflegefamilien unterbringen, weil diese billiger sind als Wohngruppen oder Lebensgemeinschaften mit fachlich qualifizierten Betreuern, so die GAL-Politikerin. Das gehe aus einem Konzept-Papier "Vollzeitpflege hat Vorrang vor Heimerziehung" hervor. Allerdings fehlten Pflegeeltern. Deshalb würden die Auswahlkriterien "sehr großzügig gehandhabt".
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