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Razzia in FrauenhausNicht mal Frauenhäuser sind sicher

Lilly Schröder
Kommentar von Lilly Schröder

Ein Polizeieinsatz in einem Frauenhaus bringt Leben in Gefahr. Sensibilisierungsmaßnahmen sind dringend erforderlich.

Frauenhäuser sollten ein Schutzort für Frauen sein, um Femizide zu verhindern Foto: Christophe Gateau/dpa

W enn staatliche Behörden Schutzräume gefährden, ist ein Systemversagen nicht mehr von der Hand zu weisen. Wie weit das reicht, zeigt der gewaltsame Einsatz der Berliner Polizei am 30. April: Frühmorgens sollen Be­am­t*in­nen des Landeskriminalamts (LKA) in den gesicherten Innenhof eines Frauenhauses eingedrungen sein und versucht haben, sich Zugang zu verschaffen. Eine Mitarbeiterin habe schließlich die Tür geöffnet und einen Durchsuchungsbeschluss verlangt. Der Einsatzgrund: Einer Bewohnerin wurde Betrug in Höhe von 2.500 Euro vorgeworfen.

Die Mitarbeiterin habe darauf verwiesen, dass sie nicht auskunftsberechtigt ist und die Leiterin der Einrichtung verständigt. Zum Schutz der Gewaltbetroffenen müssen die Adressen von Frauenhäusern streng geheim gehalten werden – das gilt auch für die Polizei. Eine Liste der Zentralstelle für Prävention des LKA weist „anfrageberechtigte“ Be­am­t*in­nen aus. Die 6 Be­am­t*in­nen hätten nicht auf der Liste gestanden, so die Mitarbeiterin zur taz.

Doch die Be­am­t*in­nen hätten sich nicht zurechtweisen lassen. Laut Mitarbeiterin hätten sie „mit Druck und Drohungen“ versucht, sich Zutritt zu verschaffen – unter anderem, indem sie ihren Fuß in die Tür stellten und drohten, „auch zu anderen Mitteln greifen“ zu können. Auch nachdem sich die hauptamtliche Kollegin kooperationsbereit gezeigt habe, hätten die Be­am­t*in­nen gedroht, das gesamte Haus zu durchsuchen. Als festgestellt war, dass die Person im Frauenhaus lebt, sei die Durchsuchung des Zimmers ermöglicht worden.

Strukturelle Defizite

Der Einsatz offenbart die strukturellen Defizite der Behörden im Umgang mit gewaltbetroffenen Frauen: fehlende Sensibilität, kein Bewusstsein für Schutzbedürftigkeit und ein institutionelles Versagen, das Betroffene zusätzlich gefährdet, statt sie zu schützen.

Denn der Durchsuchungsbefehl war sowohl auf die Adresse des Frauenhauses als auch auf die ehemalige Meldeadresse der gesuchten Bewohnerin ausgestellt. An dieser wohnt weiterhin der gewalttätige Ex-Partner. Damit bestand ein erhebliches Risiko, dass ihm durch den Beschluss die neue Adresse bekannt wird. Erst auf Intervention der Mitarbeiterinnen sei die Adresse des Frauenhauses aus dem Beschluss entfernt worden.

Die Aufgabe der Polizei ist es, Betroffene vor Gewalt schützen. Mit ihrem Vorgehen hat sie jedoch das Leben einer Frau gefährdet – wegen einer Bagatelle. Es bestand keine akute Gefahr, kein Flucht- oder Gewaltpotenzial. Der Durchsuchungsbeschluss war mehrere Monate alt, es gab also keinen nachvollziehbaren Grund für die Härte des Vorgehens.

Die Polizei hätte Verständnis dafür aufbringen müssen, dass die Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Frauenhauses – in ihrer Verantwortung für alle Be­woh­ne­r*in­nen – Zeit benötigen, um die Lage zu beurteilen, interne Abläufe zu klären und gegebenenfalls unterstützend zu handeln. Stattdessen dominierte das Interesse an einem schnellen Vollzug des Auftrags – koste es, was es wolle.

Es zeigt einmal mehr, wie gering das Bewusstsein vieler Be­am­t*in­nen für die Lebensrealitäten gewaltbetroffener Frauen ist. Frauenhäuser sind nicht einfach soziale Einrichtungen. Sie sind Zufluchtsorte für hochgefährdete, oftmals traumatisierte Frauen und Kinder. Dass Be­am­t*in­nen in diesen Schutzraum gewaltsam eindringen – und damit potenziell retraumatisieren – ist inakzeptabel. Besonders problematisch: Vor Ort sollen auch männliche Einsatzkräfte gewesen sein.

Forderung nach Sensibilisierungsschulungen für Behörden

Seit Jahren fordern Fachstellen verpflichtende Sensibilisierungsmaßnahmen für Polizei und Justiz. Doch für Schulungsprogramme, die sich in anderen Bundesländern bewährt haben, fehlt es in der Hauptstadt an politischem Willen und – wie so oft, wenn es um Frauenschutz geht – an Geld. Die Frauenhäuser sind unterfinanziert, der dringend nötige Ausbau stockt. Statt der rund 1.000 Frauenhausplätze, die Berlin laut Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention haben müsste, gibt es nur 462 Plätze.

Auch im Landesaktionsplan vorgesehen: multiinstitutionelle Fallkonferenzen – ein in anderen Bundesländern bewährtes Instrument, bei dem Polizei, Bezirks- und Jugendämter sowie Beratungsstellen gemeinsam Schutzstrategien für gewaltbetroffene Frauen entwickeln. Eine Maßnahme, die dringend notwendig wäre. Die mangelnde Zusammenarbeit von Behörden und Ämtern wird seit langem kritisiert. Doch in Berlin blockiert die Datenschutzbeauftragte deren Umsetzung.

Bittere Ironie: Aus Datenschutzgründen dürfen Institutionen nicht zum Schutz von Frauen zusammenarbeiten – während gleichzeitig durch behördliches Versagen Täter an sensible Adressen gelangen können.

Die Prioritätensetzung ist tödlich. Ein Senat, der effektive Schutzmaßnahmen blockiert, bei Frauenhäusern, Täterarbeit und Sensibilisierungsprogrammen für Behörden spart, spart am Leben von Frauen. Wenn selbst Frauenhäuser keine sicheren Orte mehr sind, ist das System gescheitert.

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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4 Kommentare

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  • Anders als die Überschrift behauptet, gefährdet die Razzia selbst niemanden. Auch die Polizeihandlung ist komplett ungefährlich.

    Gefährlich ist doch allenfalls die Adresse auf der Zweitausfertigung. Insoweit liegt der Fehler entweder bei der Staatsanwaltschaft oder beim Gericht, welches den Beschluss ausgefertigt hat. Insoweit gibt es dann gegebenfalls Verbesserungsbedarf.

    Ein Verbot von Razzien wäre dagegen weder sachdienliche noch geboten. Der Schutz eines Frauenhauses gilt dem Schutz vor dem gewalttätigen Partner, nicht dagegen vor Behördenzugriff.

  • Die Polizei ist ein Teil des Gewaltproblems, nicht der Lösung. Das wurde hier wieder klar belegt.



    Für vulnerable Personen sind Polizeieinsätze stets eine Lebensgefahr, wie die vielen durch die Polizei Getöteten zeigen.



    Die Behörde müsste grundsätzlich reformiert und neu aufgestellt werden.

    • @TeeTS:

      Den Gerichtsbeschluss ist vom Amtsgericht Dessau Roßlau ausgestellt. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass dort bekannt war, dass es sich bei dieser Adresse um ein Frauenhaus handelt. Schließlich wird die Adresse ja geheim gehalten.

      Die Razzia selbst war vollkommen unproblematisch.

      Ergo, wo sollte das Problem sein?

  • wie schon zum eigentlichen Artikel 2 Anmerkungen:

    Gerade wenn die Anschriften von Frauenhäusern nicht öffentlich bekannt sind, bedeutet das auch, dass das Amtsgericht in irgendeiner anderen Stadt bei dem Durchsuchungsbeschluss nicht weiß, dass unter dieser Anschrift ein Frauenhaus ist.

    Zudem ist ein Durchsuchungsbeschluss ungefähr der einzige Beschluss, bei dem der Beschuldigte nicht vorher angehört wird - weil mit Bekanntwerden des Beschlusses das Risiko steigt, dass die gesuchten Beweismittel verschwinden. Daher konnte ab Bekanntwerden des Beschlusses eben nicht mehr gesagt werden "wir kommen in den nächsten Tagen noch mal vorbei". Sondern ab diesem Zeitpunkt musste der Beschluss umgesetzt werden, auch wenn er vorher 3 Monate nicht bearbeitet wurde.