Razzia in Frauenhaus: Nicht mal Frauenhäuser sind sicher
Ein Polizeieinsatz in einem Frauenhaus bringt Leben in Gefahr. Sensibilisierungsmaßnahmen sind dringend erforderlich.

W enn staatliche Behörden Schutzräume gefährden, ist ein Systemversagen nicht mehr von der Hand zu weisen. Wie weit das reicht, zeigt der gewaltsame Einsatz der Berliner Polizei am 30. April: Frühmorgens sollen Beamt*innen des Landeskriminalamts (LKA) in den gesicherten Innenhof eines Frauenhauses eingedrungen sein und versucht haben, sich Zugang zu verschaffen. Eine Mitarbeiterin habe schließlich die Tür geöffnet und einen Durchsuchungsbeschluss verlangt. Der Einsatzgrund: Einer Bewohnerin wurde Betrug in Höhe von 2.500 Euro vorgeworfen.
Die Mitarbeiterin habe darauf verwiesen, dass sie nicht auskunftsberechtigt ist und die Leiterin der Einrichtung verständigt. Zum Schutz der Gewaltbetroffenen müssen die Adressen von Frauenhäusern streng geheim gehalten werden – das gilt auch für die Polizei. Eine Liste der Zentralstelle für Prävention des LKA weist „anfrageberechtigte“ Beamt*innen aus. Die 6 Beamt*innen hätten nicht auf der Liste gestanden, so die Mitarbeiterin zur taz.
Doch die Beamt*innen hätten sich nicht zurechtweisen lassen. Laut Mitarbeiterin hätten sie „mit Druck und Drohungen“ versucht, sich Zutritt zu verschaffen – unter anderem, indem sie ihren Fuß in die Tür stellten und drohten, „auch zu anderen Mitteln greifen“ zu können. Auch nachdem sich die hauptamtliche Kollegin kooperationsbereit gezeigt habe, hätten die Beamt*innen gedroht, das gesamte Haus zu durchsuchen. Als festgestellt war, dass die Person im Frauenhaus lebt, sei die Durchsuchung des Zimmers ermöglicht worden.
Strukturelle Defizite
Der Einsatz offenbart die strukturellen Defizite der Behörden im Umgang mit gewaltbetroffenen Frauen: fehlende Sensibilität, kein Bewusstsein für Schutzbedürftigkeit und ein institutionelles Versagen, das Betroffene zusätzlich gefährdet, statt sie zu schützen.
Denn der Durchsuchungsbefehl war sowohl auf die Adresse des Frauenhauses als auch auf die ehemalige Meldeadresse der gesuchten Bewohnerin ausgestellt. An dieser wohnt weiterhin der gewalttätige Ex-Partner. Damit bestand ein erhebliches Risiko, dass ihm durch den Beschluss die neue Adresse bekannt wird. Erst auf Intervention der Mitarbeiterinnen sei die Adresse des Frauenhauses aus dem Beschluss entfernt worden.
Die Aufgabe der Polizei ist es, Betroffene vor Gewalt schützen. Mit ihrem Vorgehen hat sie jedoch das Leben einer Frau gefährdet – wegen einer Bagatelle. Es bestand keine akute Gefahr, kein Flucht- oder Gewaltpotenzial. Der Durchsuchungsbeschluss war mehrere Monate alt, es gab also keinen nachvollziehbaren Grund für die Härte des Vorgehens.
Die Polizei hätte Verständnis dafür aufbringen müssen, dass die Mitarbeiter*innen des Frauenhauses – in ihrer Verantwortung für alle Bewohner*innen – Zeit benötigen, um die Lage zu beurteilen, interne Abläufe zu klären und gegebenenfalls unterstützend zu handeln. Stattdessen dominierte das Interesse an einem schnellen Vollzug des Auftrags – koste es, was es wolle.
Es zeigt einmal mehr, wie gering das Bewusstsein vieler Beamt*innen für die Lebensrealitäten gewaltbetroffener Frauen ist. Frauenhäuser sind nicht einfach soziale Einrichtungen. Sie sind Zufluchtsorte für hochgefährdete, oftmals traumatisierte Frauen und Kinder. Dass Beamt*innen in diesen Schutzraum gewaltsam eindringen – und damit potenziell retraumatisieren – ist inakzeptabel. Besonders problematisch: Vor Ort sollen auch männliche Einsatzkräfte gewesen sein.
Forderung nach Sensibilisierungsschulungen für Behörden
Seit Jahren fordern Fachstellen verpflichtende Sensibilisierungsmaßnahmen für Polizei und Justiz. Doch für Schulungsprogramme, die sich in anderen Bundesländern bewährt haben, fehlt es in der Hauptstadt an politischem Willen und – wie so oft, wenn es um Frauenschutz geht – an Geld. Die Frauenhäuser sind unterfinanziert, der dringend nötige Ausbau stockt. Statt der rund 1.000 Frauenhausplätze, die Berlin laut Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention haben müsste, gibt es nur 462 Plätze.
Auch im Landesaktionsplan vorgesehen: multiinstitutionelle Fallkonferenzen – ein in anderen Bundesländern bewährtes Instrument, bei dem Polizei, Bezirks- und Jugendämter sowie Beratungsstellen gemeinsam Schutzstrategien für gewaltbetroffene Frauen entwickeln. Eine Maßnahme, die dringend notwendig wäre. Die mangelnde Zusammenarbeit von Behörden und Ämtern wird seit langem kritisiert. Doch in Berlin blockiert die Datenschutzbeauftragte deren Umsetzung.
Bittere Ironie: Aus Datenschutzgründen dürfen Institutionen nicht zum Schutz von Frauen zusammenarbeiten – während gleichzeitig durch behördliches Versagen Täter an sensible Adressen gelangen können.
Die Prioritätensetzung ist tödlich. Ein Senat, der effektive Schutzmaßnahmen blockiert, bei Frauenhäusern, Täterarbeit und Sensibilisierungsprogrammen für Behörden spart, spart am Leben von Frauen. Wenn selbst Frauenhäuser keine sicheren Orte mehr sind, ist das System gescheitert.
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