Raubtierhof im Schwarzwald: Männer, die mit Tigern leben
Tiger sind die große Liebe von Christian Walliser und seinem Mann Jan. Daran ändert auch nichts, dass ihn das fast das Leben kostete.
Über den Feldberg im Schwarzwald kommend, vorbei am Riesenrad und den Palmen des Titisee-Badelands, taucht rechter Hand ein Truckstop mit „Santa Fe Steakhaus“ auf. Und nach ein paar Kilometern auf einer wenig befahrenen Landstraße blitzt das Gelb-Rot eines Zirkuszeltes zwischen dunklen Tannen auf. „Raubtiere hautnah erleben“ steht auf einem Plakat. Las Vegas im Schwarzwald.
Auf einer Lichtung in der Nähe des Ortes Löffingen stehen Schaustellerwagen und Tieranhänger um ein mit doppelten Gittern gesichertes offenes Raubtiergehege. Dazu das Zirkuszelt. Neun sibirische Tiger und fünf afrikanische Löwen werden hier gehalten. Und ein Friesenhengst, ein Fallabella-Zwergpferd, elf Hunde und drei Hühner.
Mit diesen Tieren haben sich Christian und Jan Walliser hier, wo der Schwarzwald eher rau als idyllisch ist, niedergelassen und einen Raubtierhof eröffnet. Mit Show, mit Führungen. Sie waren es leid zu reisen, durch die Welt zu touren mit den Tieren. Sie wollten ein Zuhause.
Am frühen Nachmittag sind nicht viele Besucher da. Großeltern mit ihren Enkeln und eine Gruppe älterer Frauen. Sie sitzen auf Bierbänken, trinken Kaffee. Hin und wieder reißt einer der Löwen sein Maul auf, brüllt. Bis zur Vorstellung sind es noch zwei Stunden.
Mit der Flasche aufgezogen
Der badische Wallfahrtsort Löffingen, ein mittelalterliches Marktstädtchen mit historischen Gebäuden rund um den Marktplatz, mit Bioladen und Windrädern, will weltoffen sein. Es hat den Wallisers das Grundstück des alten Sägewerks zur Pacht angeboten. 23 von 25 Mitgliedern des Gemeinderates stimmten für die Genehmigung – für ein Jahr auf Probe, tierrechtliche Auflagen seien noch zu erfüllen. Der Raubtierhof, so die Überlegung, sei eine Attraktion, die Besucher in den Ort lockt.
Christian Walliser, der immer schon Dompteur werden wollte, ist jetzt 34 Jahre. Zootierpfleger hat er gelernt, Ashanti, eine Tigerin, aufgezogen, ihr die Flasche gegeben, als sie klein war. Ashanti ist Christian Wallisers große Liebe, da kommt kein anderer Tiger dazwischen. Er küsst das Tier auf den Mund, umarmt es und schmust mit ihm.
Neben Ashanti sammelte er weitere Raubtiere, wie andere Oldtimer. Sie bekommen die Tiere von Zoos, von Zirkussen. Von den neun Tigern, die sie haben, sind sechs allerdings bei ihnen geboren. Bei Oldtimern wird das Alte bewundert, bei den Raubtieren das Gefährliche. Was aber, wenn das Wilde sich Bahn bricht?
Im Dezember 2009, während der Vorstellung im Tierpark Hagenbeck, stolpert Walliser in der Manege und versucht sich im Reflex auf dem Kopf eines der Tiere abzustützen. Für das Tier ist es ein Angriff, es beißt zu, zwei andere Tiger stürzen sich auf ihn.
Wie ein Wunder
Christian Wallisers Freund Jan reißt den Feuerlöscher hoch, sprüht, macht die Tür zum Tunnel auf, durch die die Tiger von der Manege in ihren Wagen kommen, und schafft es, dass sie sich dahin verziehen. Ein Arzt im Publikum leistet erste Hilfe. Es kommt zum zweimaligen Herzstillstand mit anschließendem Koma.
Der Dompteur überlebt wie durch ein Wunder. Heute fehlt ihm ein Hüftknochen und ein Teil seiner Schädeldecke. Die abgetrennte Hand wurde gerettet, angenäht und lässt sich wieder bewegen.
„Es war mein Fehler“, sagt Walliser. Er sei einem Tiger zu nahe gekommen, der bis dahin keinen menschlichen Kontakt hatte. „Wir hatten sie erst kurz zuvor in unsere Raubtiergruppe aufgenommen und noch zu wenig Erfahrungen mit ihnen.“ Er wiederholt: „Es war mein Fehler.“ Deshalb hätten sie weitergemacht.
Die Liebeserklärung will nicht enden: „Tiger sind die wertvollsten und schönsten Tiere, die es gibt. Sie haben ihren eigenen Charakter, ihren eigenen Willen, du kannst ihnen nichts aufzwingen. Mit ihnen zu leben und zu arbeiten bleibt mein Traum.“
Wie Mutter und Sohn
Was Ashanti für Christian Walliser ist, ist Montecore für seinen Lebensgefährten Jan – eigentlich ist er Visagist und Moderator der Show. Die beiden Männer machten ihre Liebe erst nach dem Unfall öffentlich und heirateten. Sie hatten erlebt, dass es ohne Trauschein schwierig ist, etwa in Kliniken Zugang zueinander zu bekommen.
Montecore ist der Sohn von India, einer der drei Tiger, die Christian Walliser vor sechs Jahren lebensgefährlich verletzten. India hatte ihr Baby nicht angenommen. Jan Walliser zog es mit der Flasche auf, putzte ihm den Hintern, ließ es neben sich im Bett schlafen. „Dieser Tiger ist für mich wie mein eigenes Kind, und er denkt, ich sei seine Mama“, sagt Jan Walliser. Ob das nicht zu weit gehe? „Nein“, sagt sein Lebensgefährte, „ich sehe das genauso.“
Oft werden die Wallisers mit Siegfried & Roy verglichen. Sie mögen es nicht. „Wir sind keine Magier und machen auch keine Zaubertricks. Die Tiger springen bei uns nicht durch Feuerreifen, sondern wir möchten sie in ihrer Schönheit und Eleganz zeigen“, sagt Jan Walliser, der sich Montecore, den Namen seines Ziehtigers, auf den Unterarm tätowieren ließ.
Montecore hieß auch der weiße Tiger, der 2003 Roy Horn fast tötete. Die Namensgleichheit sei Zufall und das Einzige, was sie mit den weltberühmten Dompteuren verbinde.
Tiger für Touris
Dass die Wallisers homosexuell sind, störte niemanden in Löffingen. Dass die Raubkatzen jedoch ausbrechen und ins nahe gelegene Freibad eindringen könnten, war ein Einwand. Die Hoffnung, mehr Aufmerksamkeit für den Ort zu bekommen, überwog am Ende.
Für Stadtmarketingleiter Karlheinz Rontke ist der Raubtierhof „ein weiteres touristisches Aushängeschild, neben dem Schwarzwaldpark in Löffingen, wo man heimische Tiere bewundern und sich auf Spaßmobilen vergnügen kann. Ausgerechnet dessen Betreiber sprach sich gegen den Raubtierhof aus. Die Wallisers vermuten: aus Angst vor Konkurrenz.
Das Angebot der Gemeinde Löffingen, auf dem leerstehenden Sägewerksgelände einen Raubtierhof zu eröffnen, ist für die beiden ein Glücksfall. „Das Reisen mit den Tieren ist anstrengend und wird schwieriger.“ Die Städte verlangten immer höhere Standgebühren, dazu werde die Kritik an reisenden Raubtieren in Gefangenschaft schärfer. „Unsere Tiger und Löwen kennen die Freiheit der Wildnis nicht. Sie leben seit vielen Generationen in Gefangenschaft, aber bei uns fehlt es ihnen an nichts“, sagt Christian Walliser.
Naturschützer hätten in erster Linie etwas gegen das Umherreisen, nicht gegen einen stationären Hof. Die Wallisers wollen hier auch „lebendigen Biologieunterricht anbieten, hautnah“. Sie wollen über die vom Aussterben bedrohten sibirischen Tiger, deren Knochen in Asien zu Arzneien verarbeitet werden, berichten.
Nicht zu nah ran
Eine Viertelstunde vor Beginn der Vorstellung werden die Raubtiere unruhig. In der Show springen die Tiger von Podest zu Podest, balancieren auf Balken. Die Löwen machen Männchen und jagen im Kreis – gelockt von Fleisch. Ashanti ist die Einzige, die sich mit dem Dompteur im Bodenstreu wälzen und schmusen darf.
Jan moderiert und beantwortet Fragen. Er weist das Publikum immer wieder darauf hin, nur nicht zu nahe an die Manege zu treten, da es unberechenbare Gefahrenmomente geben kann.
Die Musik wird lauter, ein besonders markantes Löwengebrüll wird vom Band eingespielt. „Das macht uns mitunter auch zu schaffen“, sagt Jan Walliser, „dass es den Leuten umso mehr gefällt, je spektakulärer und extremer alles ist.“ Wie viele Menschen alleine nach Christians Unfall gekommen seien, um die Tiger zu sehen, die ihn um ein Haar getötet hätten.
Die neuen Siegfried & Roy
Auch komme es vor, dass Leute viel Geld bieten, „wenn wir eine lebende Ziege in den Käfig lassen würden. Wie krank muss man sein“, sagt er.
Jan und Christian Walliser, das ist wie eine Siegfried-&-Roy-Geschichte, nur eine weniger bekannte. Das begriff auch ein großes Kasino in Las Vegas, als es den beiden das Angebot machte, die Nachfolge der berühmten Illusionisten anzutreten.
„Es ist nicht so einfach, zwei mit Tigern arbeitende Homosexuelle zu finden, die in Siegfrieds & Roys Fußstapfen treten können. Hätten wir angenommen, wären wir jetzt reich“, sagt Jan. „Aber Christian hat abgelehnt.“
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