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Raubrittern und SinglesKernschmelze der Reggae-Industrie

Im Reggae regiert auf ewig die Single? Falsch gedacht. Auch hier gewinnen schnelle Downloads aus dem Netz zunehmend an Einfluss.

Kaum ist die Musik eingespielt schon landet sie im Netz. Bild: dpa

Irgendwie hatte man sich an den Gedanken gewöhnt, dass Reggae bis ans Ende seiner Tage die Musik sein wird, deren Leitmedium die Single ist. Mochte der Rest der Welt erst auf CDs umsteigen und diese durch Downloads ersetzen - in Jamaika schien der 7-Inch ein ewiges Leben beschert. Und damit auch überall auf der Welt, wo man sich an der jamaikanischen Soundsystem-Kultur orientiert.

Falsch gedacht. Wenn man einer Recherche des Journalisten Ulli Güldner Glauben schenken darf, die das Reggaemagazin Riddim in seiner aktuellen Ausgabe veröffentlicht (und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun, Güldner ist ein renommierter Kenner der Szene), ist es damit vorbei. Ja, es wird noch lange Reggae-Singles geben. Aber sie werden vor allem für die Exportmärkte hergestellt. Die Single ist kein Leitmedium mehr. Was ist passiert? Es ist eine verwickelte Geschichte, die Güldner erzählt. Sie hat mit Verschiebungen in der Reggaehörerschaft in England zu tun, mit Vertriebspleiten, mit einer sich verändernden globalen Geografie des Reggae. Und mit Downloads, selbstverständlich.

Wobei die Geschichte hier einen interessanten Dreh hat. Denn die Download-Möglichkeiten, die den Rest der Tonträgerindustrie in die Knie gezwungen haben, waren im Wesentlichen unkommerziell. Die Versuche, Napster zu kommerzialisieren, haben nie geklappt. Heute sind es P2P-Börsen, über die die Musik verteilt wird, hier bezahlt niemand. Im Reggae, so Güldner, verhält es sich anders. Audiomaxxx, ein kommerzielles Downloadportal aus Winnipeg in Kanada, sei für die Kernschmelze der Reggaeindustrie verantwortlich. Wo deren Betreiber, Roger Ramgotra alias "King Raj", die Stücke herbekommt, ist unklar. Güldner kolportiert, er besteche jamaikanische Radio-DJs mit 500 Dollar pro Stück, spekuliert aber auch, die Aufnahmen könnten aus der Entourage der Künstler kommen - anders sei schlecht zu erklären, warum sie oft wenige Stunden nachdem sie das Mischpult verlassen haben, schon im Netz auftauchen. Sobald die Stücke einmal (zu Dumpingpreisen) bei Audiomaxxx angeboten werden, wandern sie sofort zu den nonkommerziellen Börsen.

Nun ist die Veröffentlichungsgeschwindigkeit im Reggae noch wichtiger als in anderen Genres. Reggaesongs funktionieren ja oft wie Zeitungsartikel. Im Grunde also einleuchtend, das Internet zur Verbreitung zu nutzen. Erstaunlich ist anderes: zum einen, dass King Raj überhaupt noch am Leben ist. In der Geschichte des Reggae sind schon aus weit harmloseren Gründen Leute umgelegt worden. Es muss also eine Menge Profiteure an den Machenschaften von Audiomaxxx geben. Reggae fand seit je jenseits von Urheberrechten statt und wurde von Slumlords beherrscht. Die rasante Entwicklung dieser Musik hat oft genau damit zu tun gehabt. Erstaunliche Pointe, dass ein neuer Räuberbaron dieser Industrie nun den Garaus macht.

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