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Ratten fangen Fledermäuse im FlugDer Trick der Wunderratten

Im Kalkberg von Bad Segeberg, dem bedeutendsten Fledermausquartier Norddeutschlands, haben Forscher Ratten bei einer spektakulären Jagd beobachtet.

Eine Ratte fängt eine Fledermaus aus der Luft Foto: Gloza-Rausch et al.

Im Bad Segeberger Kalkberg ist Forschern eine spektakuläre Beobachtung gelungen: Sie konnten filmen, wie Ratten am Eingang der Höhle Fledermäuse im Flug fangen – in völliger Dunkelheit und ohne abzustürzen. Zu der Jagd kam es unter anderem deswegen, weil die Ratten die Beobachtungsinstallation der Wissenschaftler für den Aufstieg nutzten.

Der frostfreie Kalkberg gehört zu den wichtigsten Winterquartieren für Fledermäuse in der gemäßigten Klimazone Nordeuropas. Rund 30.000 Tiere suchen hier Schutz. Für die stark gefährdete Teich- und Bechsteinfledermaus sei der Kalkberg „zwischen dem Weserbergland und Südschweden der genetische Pool schlechthin“, sagt Ole Eggers, Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND.

Der Schutz der Fledermäuse hat bis vor Kurzem sogar einen Weiterbau der A20 bei Bad Segeberg verhindert. Erst in der vergangenen Woche einigten sich der BUND und das Land Schleswig-Holstein auf einen Kompromiss, der eine Stiftung zum Schutz der Tiere und Verbesserungen beim Naturschutz vorsieht, weshalb der BUND eine anhängige Klage fallen lässt.

Doch nicht nur der Mensch mit seinen Siedlungsaktivitäten, auch invasive Arten können solche Tierpopulationen destabilisieren, wie Florian Gloza-Rausch, Anja Bergmann und Mirjam Knörnschild vom Naturkundemuseum in Berlin jetzt in einem Forschungsbericht dargestellt haben.

Im Dunkeln aus der Luft geschnappt

„Das mit den Ratten ist ein reiner Zufall gewesen“, sagt Florian Gloza-Rausch, der Hauptautor des Berichts. Seine Kollegin Anja Bergmann habe am Einflugloch des Kalkberges Ultraschallaufnahmen der Soziallaute gemacht, die die Fledermäuse äußern. Parallel installierten Gloza-Rausch und seine Kollegen eine Videoanlage mit einem Infrarotscheinwerfer, um zu sehen, was da so ein- und ausfliegt. Um die Aufnahmen zu verbessern, befestigten sie schwarzen Stoff an den Wänden der Fluglöcher.

Was sie auf ihrem Bildschirm zu sehen bekamen und mit dem Handy abfilmten, hat die Forscher verblüfft. Eine Ratte postiert sich auf dem Sims des Fluglochs und streckt sich blitzschnell, um eine Fledermaus mit ihren Vorderpfoten aus der Luft zu schnappen. Dabei schafft sie es, sich festzuhalten und mit dem Schwanz auszubalancieren, während sie sich tief hinunterbeugt, um ihre Beute nicht zu verlieren.

Ratten können Infrarotlicht nicht sehen. Die Forscher vermuten deshalb, dass sie die Fledermäuse mit ihren Schnurrhaaren und durch den Luftzug ihres Flügelschlages lokalisierten. Solch ein komplexes Verhalten sei zwar bisher in Laborstudien beschrieben worden, direkte Beobachtungen bei der Jagd in freier Wildbahn seien aber selten.

Erkenntnistheoretisch interessant ist eine Beobachtung am Rande: Der schwarze Stoff des Beobachtungsarrangements wurde von Ratten als Kletterhilfe benutzt und ermöglichte so überhaupt erst den Beutezug. Schön zu sehen ist auf einem der Videos, wie sich eine Ratte mit ihrer Beute im Maul die Wand hinauf davonmacht.

„Unsere Beobachtungen zeigen zum einen, wie anpassungsfähig und geschickt sich Wanderratten in städtischen Ökosystemen Nahrungsquellen erschließen und weisen gleichzeitig auf ein Artenschutzproblem durch invasive Tierarten hin“, sagt Florian Gloza-Rausch. Dass die Ratten so schnell lernten, diese nicht intendierte Kletterhilfe zu benutzen, habe er nicht erwartet.

Erkenntnistheoretisch interessant ist eine Beobachtung am Rande

Wie gefährlich die Ratten den Fledermäusen werden können, schildern die Forscher mit einer Beispielrechnung: Bei einer typischen Gruppengröße von 15 bis 60 Individuen würde die Ratten bei einer 90-tägigen Überwinterungssaison zwischen 2.100 und 8.400 Fledermäuse vertilgen – sofern sie sich ausschließlich davon ernährten. Die Forscher bezeichnen das zwar als unwahrscheinlich, es illustriere aber die Gefahr.

Eine weitere wichtige Erkenntnis für die Forscher ist die Beobachtung an sich, dass Wanderratten systematisch Fledermäuse erbeuten. Das liefere „seltene Hinweise auf direkten Kontakt zwischen zwei bedeutenden Wildtierreservoirs in einer städtischen Umgebung und weist auf eine potenzielle Schnittstelle für den Austausch von Krankheitserregern hin“.

Zwar zeigten die Studienergebnisse kein unmittelbares entsprechendes Risiko. Dennoch empfehle es sich, vorzubeugen. „Eine gezielte Bekämpfung von Wanderratten an wichtigen Fledermaus-Winterquartieren würde sowohl gefährdete Fledermauspopulationen schützen als auch potenziell Risiken für die öffentliche Gesundheit verringern“, sagt Mirjam Knörnschild, Co-Autorin der Studie.

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