Ratko Mladic festgenommen: Endlich, endlich, endlich
Nach 15 Jahren auf der Flucht wird der Exkommandant der bosnischen Serben, Ratko Mladic, gefasst. Damit erfüllt Serbien eine Bedingung für den EU-Beitritt.
BELGRAD taz | So richtig wollte niemand den Gerüchten, die sich Donnerstagvormittag wie ein Lauffeuer über die Medien verbreiteten, Glauben schenken. Doch dann bestätigte Serbiens Präsident Boris Tadic auf einer Sonderpressekonferenz knapp nach 13 Uhr die Nachricht: "Heute gegen 11 Uhr morgens ist Ratko Mladic in einer koordinierten Aktion zwischen dem serbischen Sicherheitsdienst BIA und dem Büro für die Enthüllung von Kriegsverbrechen verhaftet worden".
Mit dieser Festnahme sei eine "schwierige Phase" beendet worden. Serbien und das serbische Volk hätten sich von "der Schande, die auf ihnen lag, reingewaschen", erklärte Tadic. Serbien würde auch intensiv nach Goran Hadzic, dem letzten verbliebenen mutmaßlichen und noch flüchtigen Kriegsverbrecher fahnden, fügte der Präsident hinzu.
Jedoch sei die Kritik des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien an der mangelnden Kooperation Serbiens nun endgültig gegenstandslos. Tadic warnte noch, dass alle, die versuchen sollten, Instabilität auszulösen "umgehend vor Gericht gestellt werden".
Über die Details der streng geheim gehaltenen Aktion wollten sich weder der Präsident noch die zuständigen Behörden äußern. Zu erfahren war nur, dass der bosnisch-serbische Exgeneral unter dem Namen Milorad Komadic in dem Ort Lazarevo bei der Stadt Zrenjanin in der nordserbischen Provinz Vojvodina festgenommen worden war. Etwas eigenartig erscheint, dass zuallererst die kroatische Zeitung Jutarnji list über die angebliche Verhaftung von Mladic berichtete und sich serbische Medien zunächst auf diese Information beriefen.
50 Prozent der Serben gegen Auslieferung
Die Anspielungen Tadic auf mögliche Unruhen seien alles andere als unbegründet, meinten Analytiker in Serbien. Laut einer Meinungsumfrage von vor zehn Tagen äußerten sich rund 50 Prozent der Bürger Serbiens ablehnend über eine Auslieferung von Ratko Mladic an das UN-Tribunal. Bei den Massenunruhen nach der Festnahme von Radovan Karadzic, dem ehemaligen Kriegspräsidenten der bosnischen Serben, Ende Juli 2008 war bei Straßenschlachten zwischen der Polizei und nationalistischen Demonstranten ein Mensch ums Leben gekommen.
Allerdings hat sich seitdem die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS), die die Demonstrationen gegen die Verhaftung von Karadzic anführte, gespalten. Die aus der SRS hervorgegangene Serbische Fortschrittspartei (SNS), die momentan populärste politische Kraft in Serbien, verwandelte sich über Nacht in eine "proeuropäische Partei". Sie befürwortet jetzt sogar eine Zusammenarbeit mit dem in Serbien so verhassten UN-Tribunal.
Sicherheitsdienste gehen davon aus, dass nach dem Wandel eines Teils der national-populistischen SRS das Risiko von Massenunruhen nach der Verhaftung von Mladic nunmehr relativ gering ist. Aus welchem Anlass auch immer - in der Regel verwandeln sich Massenproteste in Serbien bereits seit Jahren in Krawalle und Straßenschlachten extremistischer Gruppen mit der Polizei.
Gewaltige politische Erleichterung
Seit fast sechzehn Jahren wurde Ratko Mladic steckbrieflich gesucht. Obwohl er direkt für den 1995 von bosnisch-serbischen Truppen verübten Völkermord in Srebrenica in Bosnien, bei dem rund 7.000 muslimische Jungen und Männer in einer organisierten Aktion hingerichtet worden waren, verantwortlich gemacht wird, konnte sich Mladic bis zur demokratischen Wende in Serbien im Jahr 2000 unbehelligt in Belgrad bewegen.
Auch nach der Wende ging man davon aus, dass ihn Teile der Sicherheitsdienste, der Armee und der Polizei beschützen. Wie im Falle von Radovan Karadzic war die offensichtlich so erfolgreiche falsche Identität von Mladic nur durch eine gewisse Unterstützung der Sicherheitsdienste möglich.
Für die proeuropäische Regierung Serbiens und Staatspräsident Boris Tadic ist die Festnahme von Mladic eine gewaltige politische Erleichterung. In dem sozial und wirtschaftlich ruinierten Land, das die Unabhängigkeit des Kosovo im Jahre 2008 bislang keineswegs verkraftet hat, hat die regierende Koalition praktisch alles auf eine Karte gesetzt - die baldige Integration Serbiens in die Europäische Union. Bis zum Jahresende erwartet Serbien, den EU-Kandidaten-Status zu erhalten, und gleich darauf den Beginn der Beitrittsverhandlungen.
Die politisch Verantwortlichen in Belgrad hoffen mit der Verhaftung von Ratko Mladic jetzt alle Hürden auf dem europäischen Weg Serbiens beseitigt zu haben. Ohne eine Beschleunigung des europäisches Integrationsprozesses und eine massive Unterstützung aus Brüssel kann Tadic Demokratische Partei (DS) nicht mit einem Wahlsieg rechnen.
Nach der Verhaftung von Radovan Karadzic wurde die Untersuchung eingestellt, die womöglich bis in die Spitzen der Sicherheitsdienste führen würde. Präsident Tadic weigerte sich denn auch auf der Pressekonferenz am Donnerstag die Frage zu beantworten, ob bei dem Verstecken von Mladic auch Teile der aktuellen Sicherheitskräfte mitgeholfen hätten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja