: Rathausverbot nach Kritik
■ Die Bremer Europaabgeordnete Karin Jöns (SPD) kam als Seiteneinsteigerin in die Politik und verbrannte sich prompt den Mund / Ein Porträt aus dem Parlamentsleben
Zwei hartgekochte Eier zwischendurch – das ist alles, was Karin Jöns nach einem 14-Stunden-Tag im Bauch hat. Erst gegen 23 Uhr verläßt sie an diesem Tag nach einer Sitzung das Europäische Parlament in Straßburg. Seit Juli 1994 vertritt Jöns die Bremer SPD im Parlament und pendelt zwischen Bremen, Straßburg und Brüssel hin und her. An das Leben aus dem Koffer hat sich die 45jährige Politikerin inzwischen gewöhnt. „Aber um sich zu Hause zu fühlen, entwickelt man Macken“, lacht sie. „In Bremen habe ich zum Beispiel das gleiche Eßgeschirr wie in Brüssel.“
Ein Haus in Brüssel hatte Karin Jöns allerdings schon lange bevor sie für die Bremer SPD ins Europäische Parlament zog. Sieben Jahre lang leitete die gelernte Journalistin das Verbindungsbüro der Freien Hansestadt Bremen bei der EU in Brüssel. Auf die Idee, eines Tages Abgeordnete im Europäischen Parlament zu werden, ist Karin Jöns zu dieser Zeit nie gekommen. Und auch als ihr Vorgänger, Thomas von der Vring, eines Tages vor ihr stand und sagte: „Karin, Du wirst meine Nachfolgerin“, glaubte sie zunächst an einen Scherz. „Ich habe gesagt: , Ich habe doch noch nicht mal einen Wohnsitz in Bremen. Mich kennt doch keiner ', erinnert sich Jöns. Doch van der Vring ließ nicht locker. „Dich kennen alle“, sagte er. Jöns erbat sich zwei Wochen Bedenkzeit. Dann nahm sie „die Herausforderung“ an. „Ich mußte erstmal durch die Ortsvereine tingeln, um mich vorzustellen“, erinnert sie sich. Der Wind der Altvorderen sei ihr damals kalt ins Gesicht geweht, erzählt Jöns. „Es ist etwas anderes, ob man mit dem Sektglas lobbyiert oder ob man Parteiarbeit macht“, habe sie sich anhören müssen und: „Ich finde es unmöglich, daß Du kandidierst, das machst Du doch nur des Geldes wegen.“
Den 12. Juni 1993, den Tag ihrer Wahl, wird Karin Jöns nie vergessen. Drei Gegenkandidaten hatten sich gemeldet: SPD-Landeschef Detlev Albers, Wilfried Töpfer aus Bremerhaven und Heinz Brandt. „Als ich damals ins Vegesacker Bürgerhaus kam, wußte ich gar nicht, wo ich mich hinsetzen sollte. Ich hab' mich unsicher umgeguckt. Jemand raunte: , Bei uns weiß jeder, wo sein Platz ist.“
Dabei ist Jöns seit ihrem Abitur 1973 in Heidelberg Mitglied der SPD. Nach dem Abitur studierte sie Politik, Geschichte und Slawistik in Mannheim. Nebenher jobbte sie als freie Journalistin für den „Mannheimer Morgen“, die „Rhein-Neckar-Zeitung“ und die „Rheinpfalz“. Zwei Jahre lang arbeitete Karin Jöns anschließend als Redakteurin bei der Gewerkschaft ÖTV. 1981 ging sie nach Bonn zum Senator für Bundesangelegenheiten der Freien Hansestadt Bremen in Bonn. Anschließend organisierte sie für den damaligen Bürgermeister Hans Koschnik und später für Klaus Wedemeier die deutsch-französische Zusammenarbeit in Bonn.
1986 wechselte Jöns zu Johannes Rau in die Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen. Ein Jahr übernahm sie die Leitung des Bremer Verbindungsbüros bei der Europäischen Union in Brüssel.
Obwohl einige Genossen die Kandidatur der Seiteneinsteigerin mißgünstig beäugten, wurde Jöns mit großer Mehrheit für das Europäische Parlament aufgestellt. Karin Jöns saß genau 100 Tage im Parlament, da erlaubte sie sich einen Faux-Pas, mit dem sie sich „Rathaus-Verbot“ einhandelte. Der ehemalige Justiz-Staatsrat Manfred Mayer-Schwinkendorf und Vertrauter Wedemeiers wurde ohne öffentliche Ausschreibung zum Leiter des Bremer Informationsbüro in Brüssel berufen. „Es ist skandalös, daß es keine Ausschreibung gegeben hat“, sagte Karin Jöns auf der Landespressekonferenz, die eigentlich die ersten Erfahrungen der frischgebackenen Europaabgeordneten zum Thema hatte. „Ich wurde nach dieser Äußerung schlicht und einfach von der Protokoll-Liste gestrichen und nicht mehr eingeladen“, erinnert sich Jöns. „Ich war zur Persona non grata geworden. Als Henning Scherf Bürgermeister wurde, hat er mich am Arm durchs Rathaus geführt und gesagt: , Kennt ihr sie noch, jetzt darf sie wieder herkommen.' “
Von dem Fenster ihres kleinen Büros in Straßburg blickt Karin Jöns direkt aufs Wasser. Auf ihrem Schreibtisch steht die Aluminium-Kiste, in der die Akten der Abgeordneten von Straßburg nach Brüssel und von Brüssel nach Straßburg transportiert werden. Jöns sitzt in den Ausschüssen für „Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten“, „Haushalt“, „Rechte der Frau“ und „Fischerei“. Außerdem ist sie Berichterstatterin für die Umstrukturierung des Sozialfonds. Den größten Erfolg feierte Jöns, als das Europäische Parlament ihren Vorschlägen folgte und die Quote für zusätzliche spezifische Frauenförderung von bislang zwei auf 15 Prozent erhöhte. „Das wurde auch Zeit“, sagt Jöns, die inzwischen bei der Bremer SPD einen festen Platz hat. Als sie kürzlich auf dem Landesparteitag wieder fürs EU-Parlament aufgestellt wurde, hatte sie nur eine Gegenstimme. kes
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