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Rasen und saufen

■ Anweisung des Innenministeriums an die Volkspolizei schafft neue Verkehrsprivilegien

„Für mich als Polizist ist das unbegreiflich“, empört sich der Mitarbeiter der Volkspolizei, mit zwei Zetteln ist er ins taz-Büro in der Hauptstadt der DDR gekommen, darunter einem Fernschreiben das Sondergenehmigungen für Volkskammer -Abgeordnete und andere schafft. Die Straßenverkehrsordnung und die Promillegrenze ist für alle gleich, einige sollen aber offenbar auch nach der Wende wieder gleicher sein. „Früher hieß das Freie Fahrt A“, sagt der Polizeibeamte. Das Politbüro hatte diese Sondergenehmigung, die Abteilungsleiter des ZK, eben die Nomenklatura, „alle Citroens hatten die“.

Am 30.Mai ging bei den Polizeistationen ein Fernschreiben ein, in dem mitgeteilt wurde, daß auf Anweisung des Innenministeriums nun durch eine Aufschrift „Freie Fahrt F“, Din-A 5 und grün umrandet, die polizeiliche Kompetenz außer Kraft gesetzt wird: „Außer bei Fahndungskontrollen unterliegen die Inhaber und Mitinsassen keinerlei Kontrollen durch die Deutsche Volkspolizei. Bei Ordnungswidrigkeiten sind keine Ordnungsstrafmaßnahmen einzuleiten“, heißt es in dem Schreiben des Präsidenten der Volkspolizei. „Bei Notwendigkeit“ - und wer kann das nicht bei Bedarf glaubhaft versichern - dürfen die Herren „die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten sowie kurzzeitig im Parkverbot parken.“ Die eigenhändig unterschriebene Anweisung des Ministers soll unter der Laufnummer 10/90 „in Kürze nachgereicht“ werden.

Am 1.Juni legte das Polizeipräsidium nach. Ein neues Fernschreiben ging an alle Volkspolizei-Inspektionen, den Betriebsschutz, die Wachkommandos und den Wasserschutz - „da fehlt nur das MfS, das war früher bei so'nen Sachen auch dabei“, fiel dem Volkspolizeikollegen dazu ein. Inhalt des Fernschreibens: Volkskammerabgeordnete sollen bei „Rechtsverletzungen im Straßenverkehr“ nicht wie alle anderen DDR-Bürger behandelt werden, sondern eine Sonderbehandlung genießen. „Ordnungsstrafmaßnahmen sind nicht durchzuführen“, lautet die Anweisung schlicht und knapp. Der Vorgang soll nur aufgenommen werden, der Präsident der Volkspolizei leitet ihn weiter. „Über die Verfahrensweise bei Straftaten entscheidet die Kriminalpolizei.“

Volkskammerabgeordnete dürfen sich auch privilegiert besaufen: Beim Verdacht auf Alkohol darf, so heißt es in der Anordnung, eine Blutprobe oder das Prüfröhrchen nur bei „Zustimmung des Abgeordneten“ zur Anwendung kommen. „Wird diese Zustimmung nicht erteilt, ist von der Durchführung der o.a. Maßnahmen abzusehen. Zwangsmaßnahmen sind nicht zulässig.“

K.W.

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