Ralf Leonhard über Österreichs Obergrenze für Flüchtlinge: Gefährlicher Präzedenzfall
Österreich erprobt die Obergrenze für Flüchtlinge, die sich auch manche aus Politik und Bevölkerung in anderen Ländern Europas wünschen. Wenn 37.500 Flüchtlinge in einem Jahr ihren Asylantrag gestellt haben, soll der Schlagbaum herunter gelassen werden. Damit die geplante Sonderverordnung vor den europäischen Instanzen besteht, wird ein Notstand konstruiert, der die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ und den Schutz der inneren Sicherheit bedrohe.
Unausgelastete Flüchtlingsquartiere und vergleichsweise geringe Kriminalitätsraten der Asylwerber sprechen eine andere Sprache. Österreich hat die etwa 90.000 Asylsuchenden aus 2015 gut verkraftet, auch wenn die Sozialbudgets spürbar belastet wurden und der Arbeitsmarkt kaum Perspektiven bietet. Es ist daher nicht allzu gewagt, in dieser Art der Flüchtlingsabwehr in erster Linie ein Placebo zu vermuten, das einer zunehmend beunruhigten Bevölkerung verabreicht werden soll. Wenn die Regierung nicht handelt, so das Kalkül, droht der Zulauf zu den rechten Aufwieglern der FPÖ weiter zuzunehmen.
Doch der Preis ist hoch. Österreich setzt einen gefährlichen „Präzedenzfall zur Aushöhlung der demokratischen Verfassung“, wie die Organisation Asyl-in-Not zu recht warnt. Denn sich auf eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit zu berufen, ermöglicht in weiterer Konsequenz die Anwendung polizeistaatlicher Methoden gegen Flüchtlinge.
Das von Österreich immer stolz verteidigte Prinzip, dass ein Mensch, der um Asyl ersucht, ein Recht auf ein faires Verfahren hat, wird außer Kraft gesetzt. Länder, die statt Österreich Flüchtlinge aufnehmen müssen, könnten sich veranlasst sehen, ähnliche Maßnahmen durchzusetzen. Die Folge wären nicht nur Rückstaus, wie sie jetzt schon in Griechenland echte Krisen erzeugen, sondern auch eine vielleicht irreparable Beschädigung der Flüchtlingskonvention und des Rechts auf Asyl.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen