Radsport im Nationalsozialismus: Tritt in die Vergangenheit
Der deutsche Sport stellt sich nur ungern seiner Geschichte. Eine unabhängige Studie zum Radsport zeigt, wie aktuell das Thema ist.
Es ist noch nicht so lange her, 2021, da sollte die Deutschland Tour der Radprofis das Gelände der KZ-Gedenkstätte Buchenwald auf der „Blutstraße“ durchqueren – ein Begriff, den Häftlinge der Zufahrtsstraße gaben, die sie unter Aufsicht des Wachpersonals 1938/39 bauen mussten.
Der Historiker Dieter Vaupel, schon lange mit der NS-Geschichte befasst, hat sich als begeisterter Radsportler nun auch mit der Vergangenheit dieser Sportart beschäftigt. Gleich im April 1933 diente sich der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) dem neuen System an. „Treu und Fest!“, verkündete das Verbandsblatt, so wolle man „im Dienst von Volk und Vaterland“ stehen. Und man stand.
Juden warf der BDR hinaus, und dass die Konkurrenz des Arbeiter-Rad- und Kraftfahrerbundes Solidarität verboten wurde, nutzten BDR-Vereine, um deren Bestände zu plündern. Auch alles, was in der Fahrradfabrik „Frischauf“ der Arbeitersportler stand, verschwand in den Garagen der BDR-Klubs.
Im Jahr 1938 wurde Viktor Brack oberster Radsportfunktionär. Bis 1945 amtierte er, und in den folgenden Jahrzehnten tauchte sein Name ganz normal in der Rubrik „Vorsitzende und Präsidenten“ des Verbandes auf. Dass Brack 1948 zum Tode verurteilt wurde, weil er verantwortlich an den NS-Euthanasieprogrammen mitwirkte, schreibt der BDR erst seit wenigen Jahren in seine Verbandsgeschichte. Der Verband, dessen aktueller Präsident der frühere SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping ist, „stellt sich nicht seiner Vergangenheit“, stellt Vaupel fest.
Schaut man sich Vaupels Studie genau an, merkt man, dass es im Grunde noch schlimmer ist. Es gab Nazitäter und es gab antifaschistischen Widerstand im Radsport, und Letzterer wurde von den Funktionären dem Vergessen anheimgegeben. Dass Widerstandskämpfer wie Albert Richter, immerhin 1932 Weltmeister, über Jahrzehnte sogar in seiner Heimatstadt Köln fast vergessen war, gehört zu dem, wie deutscher Radsport sich präsentierte.
Aufräumen mit etlichen Mythen
An andere Sportgrößen wurde nämlich sehr wohl erinnert, und einer wie Gustav Kilian, der für den Ruhm des NS-Regimes internationale Sechstagerennen bestritt, trat 1977 hochgeehrt als Bundestrainer ab.
Vaupel räumt mit etlichen Mythen auf. Am Beispiel Kilian lässt sich etwa zeigen, dass das NS-Regime keineswegs, wie es oft behauptet wurde, gegen Profisport eingestellt war. Sechstagerennen, die proletarische Vergnügen bedeuteten, wurden zwar bald nicht mehr gefördert, aber Berufsfahrer wie Kilian, Heinz Vopel oder Toni Merkens wurden gefördert und geehrt.
Vaupel kann zudem zeigen, wie der Radsport nach der politisch-militärischen Annexion von Gebieten, etwa dem belgischen Eupen, die sportliche Landnahme durchführte. Die „Großdeutschlandfahrt“ 1939, die nicht wenigen als Vorbild für die „Deutschland Tour“ gilt, charakterisiert Vaupel überzeugend als „Beispiel für den NS-Gigantismus“.
Vaupels Verdienst ist es, außer Albert Richter noch andere Radsportler ins Gedächtnis zu holen, die offiziell schon längst vergessen sind. Der Belgier André Dekeyser etwa, der als politischer Häftling nach Buchenwald kam, dort im April 1945 befreit wurde und völlig geschwächt zwei Monate später im Alter von 23 Jahren starb – seine Frau und sein Kind konnte er noch einmal sehen.
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