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Radiomoderatoren über Rituale"Ich streichle das Flugzeug von innen"

Die Radiomoderatoren Volker Wieprecht und Robert Skuppin haben ein Buch über Rituale geschrieben. Rituale können gegen Angst helfen und nehmen mit dem Alter zu, stellen sie fest.

Ritualisiert wie in einer Familie: Robert als verständnisvoller Wackeldackel, Volker als kläffender Foxterrier. Bild: rbb
Interview von Diana Aust

taz: Herr Wieprecht, Herr Skuppin, wir sitzen in einem Kreuzberger Restaurant. Soll ich jetzt "Mahlzeit" sagen?

Volker Wieprecht: Das würde viel über Ihr geistiges Betriebsklima verraten, wenn Sie zu Beginn des Essens "Mahlzeit" sagen. Ich würde dann davon ausgehen, dass Sie für das Amtsblatt der deutschen Arbeiterversammlung schreiben, nicht für die taz.

Was müsste man bei der taz sagen?

Wieprecht: Guten Appetit. Oder etwas, das noch niemand vorher gesagt hat, das kann ich natürlich nicht vorgeben, sonst hätte ich es ja als Erster gesagt.

Ihr Buch gibt viele historische Informationen über Rituale. Aber, brauchen wir sie überhaupt?

Skuppin: Rituale können Sicherheit und Freude geben. Sie können aber auch total nerven, überflüssig und sinnentleert sein. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Ich persönlich brauche Rituale, sie beruhigen mich ungemein. Früher habe ich Flugangst gehabt, und irgendwer hat mir mal beigebracht, das Flugzeug von innen zu streicheln. Das mache ich seitdem immer, und es beruhigt mich tatsächlich. Das ist wie Meditation.

Das ganze Leben ist ein - Ritual, und wir sind nur die Kandidaten

Die besten Sendungen der Radiomoderatoren Volker Wieprecht und Robert Skuppin gibt es als Buch und auf CD.

Mit ihrem 2009 erschienenen Buch "Das Lexikon der verschwundenen Dinge", das wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand, wurden sie einem deutschlandweiten Publikum bekannt. Darin beweinen die Autoren unter anderem das Ableben solch nützlicher und bereichernder Dinge wie der Duschhaube, der Serie Bonanza oder des VW-Käfers.

In ihrem aktuellen Buch "Das Lexikon der Rituale" geht es um die absurden und abgründigen Seiten der Rituale. Warum hatte der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. Mundgeruch und was hat das mit einem heutigen Arztbesuch zu tun? Warum schmeißt man in unserer Gesellschaft immer noch Brautsträuße? Und welche Ritualfunktion erfüllen "Tatort" und "Tagesschau"? Die Antworten auf diese Fragen werden mit historischen Kuriositäten gespickt. Fazit: Das ganze Leben ist ein einziges Ritual.

Robert Skuppin

moderiert an der Seite von Volker Wieprecht beim Berliner Radio Eins. Geboren wurde er 1964 in Cham, später studierte er Politikwissenschaften. 1998 gründete er mit Wieprecht eine Agentur für Hörfunkproduktionen und eine für Partys. Aus Liebe zu einem polnischen Bier betrieb er zeitweise eine Kneipe in Berlin-Friedrichshain.

Volker Wieprecht

moderiert an der Seite von Robert Skuppin beim Berliner Sender Radio Eins. 1963 in Herne geboren, studierte er später Germanistik. 1994 ging er mit Skuppin beim Berliner Jugendsender Radio Fritz auf Sendung, 1997 wechselten sie zu Radio Eins. Sie gehören zu den beliebtesten Radiomoderatoren Ostdeutschlands.

Wieprecht: Das ist eine Zwangshandlung! Meditation ist, mit voller Bewusstheit alles anzuerkennen, was passiert.

Sie benehmen sich manchmal wie ein altes Ehepaar.

Skuppin: Ja, das ist tatsächlich so. Wir kennen uns jetzt seit 20 Jahren und moderieren seit 17 Jahren zusammen. Das ist schon hochgradig ritualisiert. Aber ich stehe auf Rituale, Volker nicht so.

Welche Rituale haben Sie?

Wieprecht: Das wird gleich zu sehen sein, wenn Robert anfängt zu essen. Er schiebt den Reis zu den Bohnen, die Bohnen rüber zum Fleisch, das Fleisch ein Stückchen hin und her, schneidet was ab, legt das dann jeweils nochmal nach links und rechts. Und das macht ihm eine irre Freude, aber offensichtlich ist das …

Skuppin: … unterbewusst, ich bekomme das gar nicht mit!

Wieprecht: Aber ich bekomme es mit. Und soll ich sagen wie ich es finde? Ich finds wunderschön!

Was haben Sie für Rituale, Herr Wieprecht?

Wieprecht: Ich trockne mich rituell immer zuerst am linken Arm ab, dann ziehe ich das Handtuch mit der gesamten Breite einmal bis zu den Zehen runter, dann den rechten Arm, die Haare und das Gesicht. Man könnte sagen, es ist eine effiziente Art sich abzutrocknen, aber mich nervt das. Das sind eben diese Trampelpfade, die Rituale so sicher machen.

Warum schreiben Sie ein Buch über Rituale, wenn Sie die offensichtlich gar nicht mögen?

Wieprecht: Ich halte ja kein Plädoyer dafür, alles entritualisiert zu machen, es gibt ja keine Alternative. Egal ob der Papa dem Sohn beibringt, den Morgen mit einem Handstandüberschlag oder mit einem freundlichen Guten Morgen zu beginnen, es ist so oder so ein Ritual. Mir gehts immer um Bewusstheit. Zu sehen, was man tut, wie man es tut und warum man es tut. Ich glaube, dass 40 Prozent der sozialen Gepflogenheiten Ballast sind, den man nicht braucht. Es ist natürlich bequem, sich hinzusetzen und "Mahlzeit" zu sagen. Aber herausfordernder ist es doch, sich zu fragen, wie es meinem Gegenüber geht.

In Ihren Sendungen gibt es eine klare Rollenaufteilung. Herr Wieprecht ist der Bad Cop, Herr Skuppin der Gute. Entspricht das der Wirklichkeit?

Wieprecht: Was ist Ihr Eindruck?

Könnte schon stimmen.

Wieprecht: Woher kommt das? Das interessiert mich.

Sie sagen sofort, wenn Ihnen etwas nicht passt.

Skuppin: Wir kennen uns schon sehr lange und sind aufeinander eingespielt. Ich glaube, Volker ist gar nicht der Bad Cop. Es stimmt schon, dass er so wirkt, aber in seinem Leben ohne mich ist er gar nicht so. Das ergibt sich automatisch, wenn wir aufeinandertreffen.

Wieprecht: Das ist wie in einer Familie: Jeder nimmt den Platz ein, der frei ist. Die Nummer zwischen uns ist authentisch, weil das die Art ist, wie am meisten Platz und Spannung gleichzeitig zwischen uns existiert. Robert als verständnisvoller Wackeldackel, ich als kläffender Foxterrier. Wenn man uns allein trifft, könnte sich der Eindruck aber sehr schnell umkehren.

Herr Wieprecht ist also eigentlich der Good Cop?

Skuppin: Ich fände es total nett, wenn ich jetzt ja sagen würde! Aber ich glaube, es stimmt wirklich, ich bin gar nicht so nett, und Volker ist netter, als er erscheint. Aber wir haben beide das Potenzial zu beidem.

Ihr letztes Buch handelte von verschwundenen Dingen wie dem VW-Käfer oder der Kassette. Jetzt schreiben sie über zumeist verschwundene Rituale. Sind Sie Nostalgiker?

Skuppin: Das liegt sicherlich an unserem Alter. Das "Tagesschau"-Ritual zum Beispiel war sehr stark, als ich jung war. Da durfte man nicht angerufen werden. Ich finde es spannend, dass so ein Ritual dazu geführt hat, dass bei allen Sendern das Programm auch heute noch um 20.15 Uhr beginnt. Aber ich räume ein, dass es ein sehr nostalgischer Rückblick ist.

Was macht denn die "Tagesschau" zum Ritual?

Skuppin: Bei der "Tagesschau" hat ein Wissenschaftler herausgefunden, dass sie inhaltlich gar nicht verstanden wird. Aber es ist wichtig, dass sie um 20 Uhr beginnt und dass da jemand sitzt, weil das bedeutet, dass es keinen Atomkrieg gab und die Welt noch steht.

Wieprecht: Zudem ist es sehr nett vom Friseur, dass er nicht am nächsten Tag Zeitungen verkauft und am übernächsten Brötchen. Aber, darf ich mal kurz unterbrechen? Ist Ihnen aufgefallen, dass Robert das Essen hin und hergeschoben hat?

Skuppin: Ich hab ein bisschen rumgeschoben.

Wieprecht: Du hast damit angefangen und dir dann gesagt: Das mache ich jetzt mal nicht.

"Rituale zeigen an, wer Vorfahrt hat, im Zweifelsfall immer der König", schreiben Sie im Buch. Wer ist der König von Deutschland?

Wieprecht: Die Benimmregeln gibt der Bundespräsident vor. Zu Hause haben ja auch nicht die Kinder das Sagen, auch wenn Herbert Grönemeyer das gerne möchte. Rituale sind nach wie vor hierarchisch gestaffelt.

Skuppin: Bei einer Veranstaltung des Bundespräsidenten wird alles thematisiert: Kommt er von rechts oder links? Spielt man die Nationalhymne oder wird sie nur angesungen? Dürfen alle mitsingen? Muss man aufstehen?

Also sind Männer die Könige von Deutschland und Rituale sexistisch?

Skuppin: Ich sehe das ein bisschen anders. Rituale beeinflussen nicht Machtkonstellationen, sondern ordnen sich dem, was gesellschaftlich vereinbart wurde, unter. Wenn das System Frauen unterdrückt, gibt es auch Rituale, die das sicherstellen. Rituale drücken den Common Sense aus.

Sind Rituale für jüngere Leute überhaupt noch relevant?

Wieprecht: Ritualisiertes Gebaren wird mit zunehmendem Alter mehr.

Skuppin: Ich glaube, dass es neue und mehr Rituale geben wird, weil die Leute Sicherheit wollen in einer Welt, die unsicherer geworden ist.

Wieprecht: Es gibt neue Rituale, aber ich glaube nicht, dass es mehr oder weniger gibt. Am Anfang dachte ich, wir machen ein Buch über lustige Dinge, bis mir klar wurde, dass es keinen Bereich gibt, in dem es keine Rituale gibt. Freiheit und Ritual sind häufig keine Synonyme. Wenn man drinsteckt, ist man bis ans Ende seiner Tage dazu verdammt, Bohnen über den Teller zu schieben.

Skuppin: Was ja nicht schlimm ist! Aber vielleicht muss ich mich korrigieren. Vielleicht werden es nicht mehr, aber die Wichtigkeit von Ritualen nimmt meiner Meinung nach nicht ab.

Wie sollte ich mich von Ihnen verabschieden?

Wieprecht: Jungs, war das ein schönes Gespräch, es hat richtig Spaß gemacht!

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