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Radio Days

■ Rundfunkgeschichte in alle: Von der Audio-Versuchserlaubnis zum Offenen Kanal

Radio Days

Rundfunkgeschichte in Walle: Von der Audion-Versuchserlaubnis zum Offenen Kanal

Gleich sollte es soweit sein. Knapp 500 stolze Detektorempfänger-BesitzerInnen hatten sich vor ihren neuen Geräten versammelt, eine Audion-Versuchserlaubnis für 60 Reichsmark erstanden. Mit noch ungewohnten Handgriffen, die später wie Zähneputzen zur Alltäglichkeit werden sollten, drehte die kleine Premierengemeinde an den Knöpfen — und ein neues Medienzeitalter ward eingeläutet: Am 29. Oktober 1923 ging in Deutschland die erste Radiosendung über den Äther.

Fast 50 alte Radioschätzchen — Zeitzeugen aus 70 Jahren Rundfunkgeschichte — sind derzeit im Jugend- und Kulturzentrum Walle ausgestellt. Die DGB-Jugend und der Arbeiter-Radio-Bund zeigen noch bis zum 4. Dezember die „Geschichte des Rundfunks in Deutschland“: Die Nutzung der Radiowellen in der Weimarer Republik, im Nazi-Deutschland, in der Nachkriegszeit und heute. Die Sammler des 1989 in Bremen wiedergegründeten Arbeiter-Radio-Bundes (ARB), hier 1927 ins Leben gerufen, um der arbeitenden Bevölkerung die sozialistische Idee näherzubringen und das Radiohören erschwinglich zu machen, stellten die Ausstellungsstücke zur Verfügung. Einige Detektor-Selbstbauten, vom ARB

hierhin das Radio

mit Plakat drüber

anstelle der für die Arbeiter unerschwinglichen Geräte unters Volk gebracht, sind ebenso zu sehen wie jede Menge Volksempfänger, eine „Raumtonmusiktruhe“ aus der Nachkriegszeit und die guten alten Oma-Radios aus den 60ern — Hauptmerkmal: die Wellenskala „London-Wien-Beograd“.

Von Anfang an war der Rundfunk in Deutschland von Staats wegen ein bürgerliches Medium: Senden durften nur Aktiengesellschaften mit einem Mehrheitsanteil des Staates, die Post hatte das Sende-Monopol. Schnell war der Traum des ARB ausgeträumt, Arbeiterradio machen zu können. In den 20iger Jahren wurde stattdessen so manche Live-Übertragung durch das Singen der „Internationalen“ oder durchschnittene Kabel gestört. 1933 wurde der ARB verboten, viele sozialdemokratische und kommunistische Radiomacher kamen in Konzentrationslager. Die DGB-Jugend hat Unterlagen aus dem Staatsarchiv zusammengestellt, die zeigen, wie die Spitzel-Berichte aus ARB- Gründungsversammlungen später Listen für Inhaftierungen wurden.

Im Nazi-Deutschland kam das Medium Radio so richtig zur Geltung: Die Parole „Jeder Volksgenosse Rundfunkhörer!“ stützte die optimale Verbreitung der Nazi-Propaganda. Der Volksempfänger „VE 301“, benannt nach dem Tag der Machtergreifung am 30.1.1933, wurde massenweise produziert und billig verschleudert; manche Betriebe hielten den Preis vom Lohn ein. Als historisches Tondokument ist die letzte freie Rede im Reichstag, gehalten vom Sozialdemokraten Otto Wels, zu hören. Aus den antiquierten Rundfunkempfängern dröhnt den BesucherInnen auch Goebbels' Rede zum „Totalen Krieg“ entgegen.

Die Kriegsvorbereitungen lassen sich an den Radios nachvollziehen: Der Volksempfänger wurde abgelöst vom Deutschen Kleinempfänger DKE — Plastik statt Holz, die Spulen aus Billigmaterial, Kupfer wurde für Granathülsen gebraucht. Kleine Schildchen an den Frequenzreglern warnen: Denke daran: Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchtstrafen geahndet.

Weiter geht die Reise durch die Radiogeschichte: Am 13.5.1945, fünf Tage nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, beendete der „Reichssender Flensburg“ seine Tätigkeit. Die Alliierten entzogen nach Kriegsende den Deutschen alle Frequenzen. Weiter geht es über die Einrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bis zur Entwicklung der Privatsender und des Offenen Kanals — und der Konkurrenz des Fernsehens, das das Radio heute zum Sekundärmedium gemacht hat, das frau so nebenbei hört. Etwa eineinhalb Stunden dauert die Reise durch die Ätherwellen der letzen 70 Jahre — wenn auch die Radios etwas gedrängt und unmotiviert im Raum stehen, reinschauen lohnt sich. skai

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