Radikale Weine von Rainer Schäfer:
Schmeckt ein Wein anders, wenn man die Trauben bei Vollmond erntet? Rainer Christ ist überzeugt davon. Im Jahr 1997 erntete der Wiener Winzer seinen ersten Vollmondwein vom Weißburgunder in der Lage Falkenberg, seitdem hat er „dieses Experiment analysiert und dokumentiert“.
Weine, die einen Tag vor oder nach Vollmond geerntet werden, haben, so Christ, ein anderes Geschmacksbild: „Die Aromen sind komplexer und ausladender.“ Eine Erklärung dafür hat er auch parat: In den zunehmenden Mondphasen steige der Energiefluss in den Pflanzen an, bei Vollmond sei die Aromatik in den Früchten am stärksten ausgeprägt.
Auch bei Blindverkostungen wurden seine Vollmondweine höher bewertet als die anderen Weißburgunder aus derselben Lage. Sein Vollmondwein aus dem Jahrgang 2014 zeigt sich im Ausdruck sehr klar und mit enormer Fruchttiefe. Man schmeckt Noten von Aprikose und Apfel.
Über 900 Kilometer von Wien entfernt sammelt der Saar-Winzer Max von Kunow im Weingut von Hövel ähnliche Erfahrungen. In der Vollmondnacht vom 8. auf den 9. Oktober 2014 erntete das mit Stirnlampen ausgerüstete Team in der Lage Oberemmeler Hütte Tausend Liter Riesling, der spontan in Holzfässern vergor. Von Kunow bestellte unbefangene Kollegen in den Keller, ihr Befund war eindeutig: Der Vollmond-Riesling schmecke komplexer und salziger als der konventionell geerntete.
Geschadet hat es ihm sicher nicht, dass der Vollmond bei der Ernte zugesehen hat: Es ist ein Wein, der seine hohe Qualität zeigen wird, wenn sich nach ein paar Jahren Reife die straffe Säure und die noch spürbare Restsüße im Einklang befinden werden.
Dass man ihre Vollmond-Experimente für esoterischen Hokuspokus halten könnte, stört die Winzer nicht: Die Resultate seien eindeutig.
Weißburgunder 2014, Der Vollmondwein, Weingut Christ, 11,45 Euro, Bezug in Deutschland über www.brogsitter.de
Vollmondwein 2014, Riesling Kabinett Oberemmeler Hütte, Weingut von Hövel, 30 Euro, über www.weingut-vonhoevel.de
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