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Radfahren in HannoverHimmel und Hölle

Niedersachsens Landeshauptstadt hätte das Zeug, Deutschlands Fahrrad-Hauptstadt zu werden – doch Autolobby und Stadtverwaltung bremsen.

Ausnahmsweise freie Fahrt: Radler am 29. Mai beim Autofreien Sonntag in der City von Hannover Foto: Peter Steffen (dpa)

HANNOVER taz | Wer in Hannover mit dem Fahrrad unterwegs ist, kann auf wenigen Kilometern Himmel und Hölle erleben. Fährt man etwa vom Schloss Herrenhausen, wo Kanzlerin Merkel Ende April US-Präsident Obama Niedersachsen schmackhaft machte, in Richtung Innenstadt, führt der Weg zunächst über die autofreie Herrenhäuser Allee mitten durch eine grüne Parklandschaft. Rechts liegt das Leinealtwasser, links folgt schnell das Welfenschloss, heute Sitz der Leibnitz-Universität. Auf den Wiesen gegenüber chillen bei Sonne die StudentInnen.

Nur wenige Hundert Meter weiter allerdings ist Schluss mit dem Radidyll: Am Königsworther Platz treffen fünf Straßen aufeinander. Über den vierspurigen Bremer Damm werden endlose Autokolonnen vom Westschnellweg in die City gepumpt. Für RadlerInnen ist das ein erstes Nadelöhr: Auf schmalen Radwegen geht’s über mindestens drei Ampeln, an denen Autos natürlich Vorfahrt haben.

Weiter geht die Reise in Richtung der Langen Laube. Der per Absperr-Poller zur Sackgasse gemachte Weg gilt als Fahrradstraße: Zweiräder haben hier zumindest theoretisch Vorrang. Nach wenigen Hundert Metern aber trifft die Lange Laube auf die Goseriede – und wer die überquert, landet auf einer schmalen, halbkreisförmigen Rampe, die auch von Fußgängern gern genutzt wird. In Richtung des zentralen Kröpcke-Platzes geht es in einer Art Fußgängerzone weiter, in der niemand versteht, dass dort trotzdem auch Radfahren erlaubt sein soll.

Und wer dann in Richtung der Marktkirche weiter will, muss zwei Minuten später auf einen gerade einmal einen Meter breiten Radweg ausweichen, auf dem dafür Gegenverkehr herrscht. Dazu kommen Taxis, deren Türen sich gern zur Radstrecke hin öffnen – dass es gerade auf dem letzten Teilstück dieser Route nicht täglich zu schweren Stürzen kommt, grenzt an ein Wunder. Knapp hundert Meter weiter endet der Radweg ins Stadtzentrum dann abrupt – im Nichts.

Wer sich fragt, wie es zu diesem Nebeneinander aus Blechlawinen und Fahrradvorrang gekommen ist, lernt schnell: Selbst die Diskussion übers Radfahren ist in Hannover vermintes Terrain. „Ideologisch“ finden Teile der Verwaltung bereits die Frage, wie viel Geld die Stadt für die Förderung des Radverkehrs und des Autoverkehrs jeweils ausgebe. Die Mitarbeiter sagen Sätze wie: „Als moderne Stadt können wir die Autos nicht verbannen“, oder: „Außerdem tun wir doch schon so viel fürs Fahrrad.“

Jedes Jahr mehr Geld

Tatsächlich gibt Niedersachsens Landeshauptstadt jedes Jahr mehr Geld für den Radverkehr aus: 2012 flossen zwei Millionen Euro, 2015 waren es schon drei und 2016 bereits vier Millionen. Bezahlt werde damit die Instandhaltung, Ertüchtigung und Erweiterung des etwa 1.000 Kilometer langen Radwegnetzes, sagt Stadtsprecher Alexis Demos – schließlich hat der rot-grün dominierte Stadtrat in seinem „Leitbild Radverkehr“ schon 2010 beschlossen, den Anteil des Radverkehrs bis 2025 auf 25 Prozent zu steigern. Allerdings: In den Straßenbau fließen jedes Jahr rund 30 Millionen Euro.

AktivistInnen der „Critical Mass“-Bewegung, die immer am letzten Freitag im Monat versucht, per Fahrradkorso Straßenraum von den Autofahrern zurückzugewinnen, fordern deshalb mehr. „Wir erradeln uns die Utopie: breite gleichberechtigte Straßen, auf denen Radverkehr neben dem Autoverkehr rollt“, sagen sie. Aktuell speise die Stadtverwaltung Radfahrer mit Fahrbahnmarkierungen und Bordsteinradwegen ab – und provoziere so Konflikte mit dem Auto- und Fußgängerverkehr.

Die Folge seien Unfälle: Allein im vergangenen Jahr starben in Hannover vier RadlerInnen im Straßenverkehr, im Jahr davor waren es sogar neun. Bei jeder Straße müsse gefragt werden: „Würde ich hier Zehnjährige fahren lassen?“, finden die „Critical Mass“-Organisatoren. Laute die Antwort „Nein“, sei die Verkehrsführung „unzeitgemäß und autozentriert“.

Der Stadtverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) gibt sich diplomatischer. „Atmosphärisch“ habe sich das Verhältnis zur Stadtverwaltung massiv verbessert, sagt der stellvertretende Vorstand Eberhard Röhrig-van der Meer. Am Knotenpunkt Schwarzer Bär in Linden etwa habe sich das Tiefbauamt bereit erklärt, eine Rechtsabbiegerspur ausschließlich für den Radverkehr frei zu machen – schließlich werden RadlerInnen immer wieder von abbiegenden Autos überfahren. „Das eine Verwaltung damit einen Fehler einräumt, ist schon bemerkenswert“, findet Röhrig-van der Meer.

Trotzdem ärgert sich der Pädagoge über nicht an das Radwegenetz angeschlossene Fahrradstraßen wie die Edenstraße, deren Hauptzweck es derzeit ist, Konflikte mit den Flaneuren zwischen den Geschäften der Lister Meile zu vermeiden. Den Radverkehr der Zukunft wünscht sich Röhrig-van der Meer auf mindestens 2,5 Meter breiten „Velorouten“, die von den Stadtteilen ins Zentrum führen sollen. „Wir brauchen erhöhte Haushaltsmittel auch in den nächsten Jahren“, fordert er.

Um den Druck auf die Politik zu erhöhen, hat Röhrig-van der Meer die Positionen der im Rat vertretenen Parteien zum Radverkehr abfragen lassen. Alle Details werden im Juli in der Verbandszeitschrift HannoRad veröffentlicht. Wenig überraschend schneiden die Grünen am Besten ab – sie machen sich etwa für Tempo 30 in der Innenstadt stark. „Die SPD orientiert sich mal wieder am Auto“, sagt der ADFC-Vorstand: „Die Sozialdemokraten wollen auf den Einfallstrecken zu den Parkhäusern Tempo 50 – egal, wie viele Fußgänger und Radfahrer darauf unterwegs sind.“

Im Ranking auf Platz 4

Die Grünen wollen bei den Kommunalwahlen im September dagegen mit der Forderung nach eigenen Radfahr-Spuren auf breiten Straßen und Radschnellwegen punkten. „Ziel ist, möglichst viel Verkehr aufs Fahrrad zu verlagern“, sagt Parteichefin Gisela Witte. In den vergangenen Jahren ist das gelungen: Der Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Strecken stieg von 13 Prozent 2002 auf 19 Prozent im Jahr 2011. Und 2014 lag Hannover im ADFC-Ranking der fahrradfreundlichsten Großstadt schon auf Platz 4 – nach Münster, Karlsruhe und Freiburg im Breisgau.

Hannover habe das Potenzial, Fahrradhauptstadt Deutschlands zu werden, warb der Fahrradguru Mikael Colville-Andersen im vergangenen Jahr bei einer Konferenz: Eine Situation wie in seiner Heimat Kopenhagen, wo jeder dritte Weg mit dem Rad zurückgelegt wird, sei erreichbar. „Wir brauchen die Unterstützung der Öffentlichkeit“, sagt die grüne Parteichefin Witte dazu – noch dominiere die Autolobby, denke die Stadtverwaltung den Radverkehr zu oft nicht mit. „Hannover ist bis heute eine Autostadt“, sagt Witte – „abhängig von VW.“

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