piwik no script img

Radek Krolczyk Kunst am WegesrandVielfalt auf der Wiese

Auf dem Präsident-Kennedy-Platz steht auf Stelzen ein durchsichtiger Kubus, an dem sich eine durchsichtige Raupe hochzieht. Von diesem Platz führen Wege zum Bahnhof, ins Viertel und in die Innenstadt, so sehen unzählige Menschen die Plastik tagein, tagaus. Nachts leuchten die kleinen Plexiglashärchen der Raupe sogar.

Der Kasten nimmt die Form des ehemaligen US-amerikanischen Konsulats auf. Ein beinahe schwebender, transparenter und doch klarer Bau des Chicagoer Architekturbüros Skimore, Owings and Merrill von 1954. Zwanzig Jahre später hat der Bremer Bildhauer Bernd Uiber­all seine Raupe an diesem Ort aufstellen dürfen. Den Namen des Künstlers kennt heute, trotz der Präsenz seiner Plexiglasplastik, kaum jemand mehr. Die Raupe ist die populärste und auch seltsamste Arbeit, die der Stadt von ihm geblieben ist. An der Kohlhökerstraße befinden sich seine überdimensionierten Boulekugeln, an der kleinen Weser liegt ein expressiv-kubischer Ikarus im Gras, ein steinerner Monolith mit einer zerbrochenen Strebe.

Uiberall wurde 1941 in Bassum geboren, er studierte in den 60er-Jahren an der Bremer Kunstschule bei Gerhard Schreiter. Uiberall ist nun kein besonders erfolgreicher Künstler gewesen, was weder eine Besonderheit noch eine Schande ist. Er blieb die meiste Zeit über in Bremen, einen zweiten Wohnsitz hatte er in Artá auf Mallorca, wo er sich 2003 nur 59-jährig das Leben nahm. Bestattet wurde er dort auf dem Grundstück seines Ateliers unter einer von ihm geschaffenen Sandsteinskulptur.

In der Bremer Kunstszene schien er aber eine Weile lang eine überaus wichtige Rolle zu spielen, wie die vergleichsweise zahlreichen Plastiken in der Stadt verraten. Dass man heute noch seine Raupe bestaunen kann, ist einem Programm des Senats aus den frühen 70er-Jahren zu verdanken. Man sprach nun in Abgrenzung zur „Kunst am Bau“ der 50er- und 60er-Jahre von „Kunst im öffentlichen Raum“. Konkret bedeutete dies eine Heterogenisierung der Kunst in der Stadt. „Kunst am Bau“ war stets in Abhängigkeit von Neubauten gedacht, an denen schließlich auch ihre Finanzierung hing. Es entwickelte sich ein eigenständiges Genre der Kunst, mit eigenen ästhetischen Fragestellungen und formalen Regeln.

Auf einmal war eine sehr viel größere Vielfalt zu sehen. Neben den üblichen Großbildhauern tauchten plötzlich so diffizile Werke wie Uiberalls Raupe auf. Freie Flächen wurden den Kunstschaffenden zur Realisierung ihrer Werke überlassen, für die Finanzierung wurden eigens Institutionen wie die inzwischen ersatzlos abgewickelte „Stiftung wohnliche Stadt“ geschaffen. Der Präsident-Kennedy-Platz war ein sehr früher Spielplatz der Bremer Kunstszene. Seit 1974 entstanden dort neben Uiber­alls Raupe mehrere sehr unterschiedliche weitere Arbeiten, die von den künstlerischen Entwicklungen in der Stadt berichten. Heute hat er die Rolle eines Freiluftmuseums. Die Bremer Kulturbehörde hat sich selbst in den vergangenen Jahren die meisten solcher Instrumente amputiert. Von den Werken der Uiberalls von heute wird man in dreißig Jahren nicht einmal mehr etwas ahnen.

Der Autor ist Betreiber der Galerie K’

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen