Rad-WM in der Schweiz: Purzelbaum der Werte
Cadel Evans wird als sauberer Weltmeister gefeiert. Seine übel beleumundeten Kollegen gehen leer aus. Und die gesamten Lance-Gang glänzt mit Abwesenheit.
MENDRISIO taz | Diese Rad-WM ist wie Weihnachten. Es gab Rutenschläge und Geschenke. Am Ende waren alle froh, dass die Sache glimpflicher als befürchtet abgelaufen war. Die Veranstalter vom Weltradsportverband UCI atmeten auf, dass sie nicht dem Fuentes-Kunden Alejandro Valverde das Regenbogentrikot überreichen mussten. Der hoch favorisierte Spanier bummelte lange Zeit im abgehängten Hauptfeld umher und wurde trotz finaler Anstrengung nur Neunter. Er konnte sich indes über den dritten Platz seines weniger schlecht beleumundeten Landsmanns Joaquin Rodriguez freuen. Sieger wurde der Australier Cadel Evans, der von italienischen Medien als durch und durch sauberer Triumphator gefeiert wurde.
Evans war zwar sehr froh, dass er gewonnen und damit eine ziemlich verkorkste Saison noch mit einem Goldglanz versehen hatte. Die Steilvorlage, um sich als ganz sauberer Sieger von Valverde zu distanzieren, nutzte er aber nicht. So blieb für die Italiener nur übrig, den wenige Kilometer vom Zielstrich entfernt lebenden Wahltessiner als Halbitaliener zu adoptieren und sich ihrerseits in dessen Glanz zu sonnen. Für die waschechten Azzurri, die mit großen Ambitionen gestartet waren, sprang nur ein enttäuschender achter Rang heraus. Ihr Kapitän Damiano Cunego hatte sich ähnlich wie Valverde verzockt und war lange hinten geblieben.
Dass beide überhaupt noch in die Top Ten gelangten, verdankten sie einem Energieschub des Schweizers Fabian Cancellara. Der "Spartakus" genannte Zeitfahr-Goliath hatte sich kurz vor Toresschluss als Lokomotive vor die schon aufgeben wollenden Favoriten gespannt und sie nach vorn geführt. Weil für Cancellara aber am Ende doch nicht die angestrebte Straßenmedaille, sondern nur ein fünfter Platz heraussprang, sahen sich die Schweizer ihrerseits nicht in Erklärungsnot gebracht, was die gigantische Power ihres kantigen Landsmanns angeht.
Solche Probleme hatten die Deutschen nicht. Beim BDR war man froh, dass diesmal alle Neune überhaupt in den Startbereich kommen durften. Bei den Damen hatte ein Anmeldefehler des Verbands dazu geführt, dass Sarah Düsters Name gar nicht auf der Athletenliste der UCI auftauchte. Sie durfte daher auch nicht starten. Ihr Trostpreis war ein riesengroßes Transparent, mit dem sie von Fans aus dem heimischen Wangen selbst dann noch gegrüßt wurde, als nur noch die Männer im Rennen waren. Düster avancierte zur populärsten Frau im Radsportzirkus. Die Konkurrenz, an der ihr die Teilnahme verwehrt war, gewann nach famoser Teamleistung die Italienerin Tatiana Guderzo. Sie bezeichnete sich und die drittplatzierte Mannschaftskameradin Noemi Cantele poetisch als "ein Herz und vier Beine". Sie spielte damit auf die perfekte Abstimmung an.
Männliche Kollegen werden sich ob dieser Formulierung wahrscheinlich an den Kopf gegriffen haben. Zwei starke Beine reichen dem gestandenen Professional durchaus für die Vorwärtsbewegung; ein Extraherz mit Extrablut gefiele den Ausdauersportlern dagegen mehr als nur eine Pumpstation. Dass sich Doping weiterhin lohnt, bestätigte indirekt die Antidopingbeauftragte der UCI. Anne Gripper gestand dem dänischen Fernsehen, dass für den Blutpass der UCI nur die Werte aus den Trainingskontrollen verwendet werden. Die Werte aus dem Wettkampf seien wegen der hohen physischen Belastung nur bedingt vergleichbar. "Was im Wettkampf passiert, können wir nicht überprüfen", sagte sie. Das öffnet der Manipulation im Rennen Tür und Tor.
Wegen des Vorbehalts gegen die Wettkampfwerte ist die UCI bisher auch nicht gegen Lance Armstrong eingeschritten. Dessen Blutwerte hatten bei der Tour de France 2009 ähnliche Purzelbäume geschlagen wie weiland die des wegen Lügnerei aus dem gelben Trikot geboxten Dänen Michael Rasmussen.
Die WM wurde übrigens von der gesamten Lance-Gang mit Nichtteilnahme bedacht. Einzige Astana-Prominenz war Alexander Winokurow. Der Dopingsperrenabsitzer aus Kasachstan war sogar als Erster über den Zielstrich gerollt. Allerdings bereits in der vorletzten Runde - was auch zu Seufzern der Erleichterung bei allen PR-Strategen im Radsport führte. Die WM hatte wirklich für jeden etwas.
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