ROT-GRÜN-BILANZ (3): Auf halber Strecke
Eine liberalere Innenpolitik, bestimmt durch "Prävention und Integration" versprach der Koalitionsvertrag nach Hardliner Thomas Röwekamp (CDU).
Den in Gröpelingen geborenen Murat Kurnaz wollte er nach seiner Guantánamo-Entlassung nicht nach Bremen zurücklassen; den Brechmitteltod Laya Condés nahm er in Schutz - die harte Linie von Ex-Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) prägte die große Koalition. Danach fiel es Rot-Grün 2007 leicht, mit dem Versprechen auf ein liberaleres Bremen anzutreten. Prävention und Integration statt Repression - darauf hatte sich die Koalition selbst verpflichtet.
Von einem "eingeleiteten Kurswechsel" in der Ausländerpolitik spricht heute der SPD-Fraktionsvorsitzende Björn Tschöpe. Messen lassen muss sich ein solches Fazit etwa an der Lage langjährig Geduldeter - Menschen, die nicht abgeschoben werden können, denen aber gleichwohl jahrelang ein Aufenthaltsrecht verweigert wird. 3.500 von ihnen gab es, als Röwekamp abgewählt wurde, auf "ein Minimum" wollte Rot-Grün diese Zahl drücken. Tatsächlich leben heute noch 1.200 langjährig Geduldete im Land - zwei Drittel weniger. Doch während die SPD herausstellt, dass Bremen als erstes Bundesland jungen Menschen ein Aufenthaltsrecht unabhängig vom Status der Eltern einräumt, kritisiert der Flüchtlingsrat, dass auch Rot-Grün keine umfassende Bleiberechtsregelung zuwege gebracht hat. "Noch immer fehlt eine Perspektive für viele Menschen, die lange hier leben. Die Duldung bedeutet für sie Isolation und Ausgrenzung", sagt Marc Millies vom Flüchtlingsrat.
Auch die grüne Migrationspolitikerin Zarah Mohamadzadeh ist mit der aktuellen Zahl der Kettenduldungen noch nicht zufrieden. Sie verweist auf die Verkürzung der Pflicht für Asylbewerber, in Heimen zu leben. Dort hat jeder Bewohner Anspruch auf nur sechs Quadratmeter Wohnraum, mehrere einander fremde Erwachsene leben oft Jahre lang in einem Zimmer. In der Stadt Bremen haben Asylbewerber künftig schon nach zwölf Monaten Anspruch auf eine Wohnung. Andernorts ist man allerdings schon weiter: Berlin oder Leverkusen verzichten komplett auf Heime.
Ihr Vorhaben, einen Krankenschein für Papierlose einzuführen, konnte Mohhamadzadeh bislang nicht umsetzen. Dafür gelang es, eine "humanitäre Sprechstunde" für Papierlose beim Gesundheitsamt einzurichten. Die vermittle Menschen ohne Pass an Ärzte, sagt Mohammadzadeh.
Während der öffentliche Dienst durch die Schuldenbremse massiv ausgedünnt wird, stiegen unter Rot-Grün die Einstellungszahlen bei der Polizei auf 120 neue Beamte pro Jahr. "Wir haben die Röwekamp-Delle ausgebeult", sagt SPD-ler Tschöpe. Um bestechende Firmen von öffentlichen Aufträgen auszuschließen, habe Rot-Grün ein bundesweit einmaliges Korruptionsregister auf den Weg gebracht. "Intensivieren" will Tschöpe seine Bemühungen in Sachen Kriminalprävention, gelungen sei das ressortübergreifende Konzept gegen Jugendgewalt.
Eben jenes wird allerdings von der Linken-Politikerin Kristina Vogt kritisiert: Die Neuorganisierung des Jugendeinsatzdienstes (JED) halte "ausgegrenzte jüngere Menschen mit repressiven Lösungen in Schach, statt sie einzugliedern". Vorher sei der JED sozialpädagogisch qualifiziert gewesen, nun übernähmen Polizisten teils Aufgaben der Jugendgerichtshilfe. Auch beim Umgang mit Protesten - etwa bei Christival oder einer verbotenen Demo gegen Repression vor Weihnachten 2008 - wirft sie Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) vor, auf Repression zu setzen.
Offen ist, wie die beiden Parteien in Zukunft mit dem Reizthema Vorratsdatenspeicherung umgehen. Grüne und SPD-Fraktion sind strikt dagegen. Mäurer hält sie für unerlässlich. Der grüne Innenpolitiker Björn Fecker hebt derweil hervor, dass er Mäurer daran hindern konnte, private Sicherheitsdienste mit der Polizei zu verzahnen. "Da haben wir gesagt: Das gibt es mit uns nicht", so Fecker.
Dafür blockierte Mäurer allerdings Feckers Projekt, Polizisten im Einsatz kennzeichnen zu lassen. Dies fordern auch Bürgerrechtsorganisationen seit langem - es soll Beamten erschweren, im Schutz der Anonymität Demonstrierende zu misshandeln. Die Gewerkschaft der Polizei ist strikt dagegen, Fecker will das Thema Kennzeichnungspflicht aber nach der Wahl wieder angehen und auch die Videoüberwachung öffentlicher Plätze auf den Prüfstand stellen.
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