RBB über Rigaer Straße: Skandal-Story im Kiez
Bei Auseinandersetzungen zwischen linken Hausprojekten und der Berliner Polizei gibt es mindestens zwei Seiten. Das RBB-Fernsehen zeigt nur eine.
Anfang dieses Jahres gab sich die ARD-Sendung „Kontraste“ ein neues Logo. Schwarz und weiß, passend zum Eigenanspruch: „Kontraste bringt Gegensätze auf den Punkt.“ Denn dafür wird das Magazin des Rundfunk Berlin Brandenburg geschätzt. Doch in der Berichterstattung rund um die linksradikalen Berliner Hausprojekte Rigaer Straße 94 und Liebigstraße 34, treiben „Kontraste“ und der RBB es mit der Schwarz-Weiß-Malerei regelmäßig recht weit.
Beide Häuser im Berliner Bezirk Friedrichshain sind seit 30 Jahren teilbesetzt, die Bewohner*innen wehren sich, auch mit drastischen Mitteln, gegen Räumungsversuche. Der RBB erzählt darüber wiederkehrend eine Geschichte, in der einzelne Polizist*innen, die angeblichen Hauseigentümer, deren Vertreter und arrivierte, besorgte Nachbar*innen den „Linksextremisten“ gegenüberstehen, gedeckt von der rot-rot-grünen Landesregierung und der Polizeipräsidentin.
So zeigt der ARD-Sender schon im August vergangenen Jahres das Polizeivideo von einem Einsatz in der Rigaer 94 in voller Länge in der „Abendschau“. Das sollte, in seiner unkommentierten Hautnah-Optik, die Aussage des Innensenators Andreas Geisel (SPD) widerlegen, in Berlin gebe es keine No-go-Areas. Kürzlich diente dann dasselbe Video im „Kontraste“-Beitrag „Sonderrechte für Berliner Linksradikale: Wie Rot-Rot-Grün die Polizei ausbremst“ als Einstieg für eine Art Bürgerkriegsszenario.
Suggestiver Beitrag
Im dramatisierenden Off-Text ist vom „letzten Hotspot der autonomen Gewaltszene in der Hauptstadt“ die Rede, und: „Nach und nach konnten Extremisten hier einen autonomen-Staat im Staate etablieren.“ In diesem „Staat im Staate“, so suggeriert der Beitrag, müssten Polizist*innen, wie auch Nachbar*innen um ihr Leben fürchten und würden dabei vom rot-rot-grünen Senat im Stich gelassen. Mehr noch: Linksextreme Straftäter erhielten Sonderrechte vom Senat.
Ausschließlich Polizist*innen und erklärte Gegner der Projekte wie der CDU-Fraktionschef Burkard Dregger kommen dabei zu Wort. Vertreter*innen von Rot-Rot-Grün hingegen, Anwält*innen oder gemäßigte Sympathisant*innen der Projekte werden nicht befragt. Unerwähnt bleibt auch, dass Polizist*innen, als sie Anfang Juli in einer Strafsache zwei Wohnungen in der Rigaer durchsuchten, gleich den angeblichen Hausverwalter, den Eigentümeranwalt, Security-Leute und einen Bautrupp mitbrachten.
Sie räumten Dachboden und Keller, schlugen ein Loch durch eine Wohnungswand. Am folgenden Tag sicherte die Polizei, nachdem sie dies zunächst ausgeschlossen hatte, die Räumung einer Wohnung ab. Räumungstitel gab es dafür keinen. Denn, auch das kommt im „Kontraste“-Beitrag nicht vor: Nach wie vor sind die Eigentumsverhältnisse bei der Rigaer 94 unklar.
Die „Kontraste“-Redaktion beruft sich auf Anfrage zwar aufs Grundbuch. Darin steht Lafone Investments Limited, eine Briefkastenfirma mit Sitz in Großbritannien. Das Landgericht Berlin aber hatte zuletzt im Juni 2019 die rechtmäßige Bestellung des Geschäftsführers der Eigentümergesellschaft bestritten und ihm damit auch das Recht abgesprochen, eine Hausverwaltung oder auch nur einen Anwalt zu bestellen.
Der RBB aber berichtet, als gäbe es geklärte Eigentumsverhältnisse. „Kontraste“ skandalisiert, dass Polizist*innen, als wenige Tage nach der Razzia der vorgebliche Hausverwalter angegriffen wurde, nicht die Rigaer stürmten und vermutet dahinter eine Weisung der Landesregierung.
Tatsache ist: Zwar müssen Polizist*innen vor dem Eindringen in linke Projekte die Behördenleitung einbinden. Doch das geschieht ihrer eigenen Sicherheit wegen, hat nichts mit Rot-Rot-Grün zu tun, sondern geht auf Ex-Innensenator Frank Henkel (CDU) zurück. Und Wohnungen darf die Polizei nach wie vor nur auf richterlichen Beschluss hin durchsuchen.
Auf taz-Nachfrage beim Sender teilt die „Kontraste“-Redaktion mit: „Wir stehen in vollem Umfang zu dem Bericht über einen Entscheidungsvorbehalt der Polizei, der im Kern die Strafverfolgung vor Ort bei linken Szeneobjekten behindert.“ Diese Kritik werde von keiner Seite in Zweifel gezogen.
Der RBB wäre dennoch gut beraten, zugunsten verschiedener Perspektiven auf eine Rahmung des Komplexes als Skandal-Story zu verzichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen