RB Leipzig beim DFB-Pokalfinale: Aus der Brause kommt das Bunte
An Vorurteilen über RB Leipzig mangelt es nicht. Doch die Fankultur des Bundesligaklubs ist vielfältig. Beim DFB-Pokalfinale wird man’s merken.
Wer ein Heimspiel von RB Leipzig besuchen will, muss erst einmal die Fußballgeschichte der Stadt überqueren. Der mit Gras bewachsene Stadionwall erinnert nämlich daran, dass hier einst das Zentralstadion stand. In das alte Rund wurde die neue Red-Bull-Arena gebaut – damals noch für die WM 2006. Leipzig ist der Gründungsort des DFB, aus der Stadt kommt der erste Deutsche Fußballmeister. 100.000 Zuschauer kamen ins 1956 eröffnete Zentralstadion, heute sind es an einem verregneten Mai-Tag knapp 42.000. Zum letzten Heimspiel der Saison kam Bayern München.
Wie an anderen Bundesligastandorten auch gab es zum Saison-Abschluss einen Fanmarsch, rund 800 Fans machten mit. Roter Rauch schwebte über ihren Köpfen, als sie durch eine Häuserschlucht liefen. „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“, riefen sie. So weit, so normal.
Doch es gibt eben auch die andere Seite. Viele RB-Anhänger wollen keine Pyrotechnik im Stadion, sind damit auf einer Linie mit dem Verein. Der hatte sogar drastisch reagiert, als einige Fans bei einem Auswärtsspiel der zweiten Frauenmannschaft in der Landesklasse Pyro zündeten, verhängte zwei umstrittene Hausverbote im Heimstadion. RB Leipzig, das mehr als andere Bundesligisten ein Erlebnis-Dienstleistungs-Unternehmen ist, fährt eine Null-Toleranz-Politik in Sachen Pyrotechnik. Elemente typischer Fankultur gibt es in Leipzig oft – nicht nur den Streit um die Pyro. Zum zehnten Vereinsgeburtstag etwa gab’s eine große Fan-Choreo. „Zehn Jahre nach den Sternen gegriffen, sie gesehen, doch nie erreicht – Voller Sehnsucht, voller Träume nach fernen Galaxien“ stand auf einem riesen Banner.
Sich mit „den“ RB-Fans zu treffen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ein Kaffee mit Sebastian Horn kommt dem aber sehr nah. Er ist Sprecher des Fanverbands Leipzig, ein Zusammenschluss verschiedener RB-Fanklubs. Die Motive, die Fans zum Klub gebracht haben, seien alle höchst unterschiedlich, sagt er. Aber etwas habe natürlich das Interesse verstärkt: „Der sportliche Erfolgt zählt.“ Zum einen haben sich viele in und um Leipzig nach höherklassigem Fußball gesehnt. Zum anderen haben sich viele über den neuen Klub gefreut, da er die Möglichkeit bot, eine Fanszene selbst mitzugestalten.
Es gibt kaum noch Feindbilder
Bei den beiden bisherigen Platzhirschen 1. FC Lokomotive und BSG Chemie ist das nämlich anders. Sehr stark vereinfacht: konservative und rechte Klientel bei Lok; Studenten, Linke und Antifa bei Chemie. Auch wenn das heute nicht mehr so ganz passt, so sind die beiden Vereine durch ihre lange Tradition immer noch politisch und ideologisch aufgeladen. Fans gehen zu diesen Vereinen, weil sie sich mit bestimmten Werten identifizieren. Wer den „echten“ und „wahren“ Fußball sehen will, der geht ins Bruno-Plache-Stadion zu Lok oder in den Alfred-Kunze-Sportpark zu Chemie, heißt es.
Trotz dieser Verankerung von Lok und Chemie in der städtischen Fußballkultur ist RB mittlerweile in Leipzig angekommen. „Es gibt andere Feindbilder“, schreibt ein Vertreter der Fanszene von Chemie über das Verhältnis zum so oft als Brauseklub beschimpften Nachbarn, „man konzentriert sich darüber hinaus lieber auf den eigenen Verein.“ Von einem normalen Verhältnis spricht auch ein Sprecher von Lokomotive Leipzig, merkt jedoch an: „Intensive Berührungspunkte auf Vereins- oder Managementebene gibt es aber nicht.“ Lok hofft auf sportliche Nebeneffekte: „Ja, wir freuen uns natürlich darüber, wenn der ein oder andere Nachwuchsspieler, der am Cottaweg durch’s ‚Raster‘ fällt, letztendlich bei uns landet.“
Diese friedliche Koexistenz ist neu. Am Anfang dominierte der Hass. Stürmer Daniel Frahn war schon 2010, in der zweiten Saison von RasenBallsport, dabei. Noch heute ist er mit 88 Treffern RB-Rekordtorschütze. „Am Anfang war es schon sehr extrem, weil viele Fans Angst hatten, dass ihnen jemand die Fußball-Kultur wegnimmt“, erzählt der 31-Jährige, der mittlerweile für den Chemnitzer FC kickt. „Wenn wir vor dem Spiel einen Spaziergang gemacht haben, wurden wir von zehn Securitys bekleidet – das war schon seltsam.“
Fangesang
Mehrere Spieler von damals erzählen, dass die Anfeindungen auch ein verbindendes Moment für die zusammengewürfelte Mannschaft waren. Ganz nach dem Motto: Wir gegen den Rest der Welt. Dieses Gefühl schweißt die RB-Fans noch heute zusammen. „In den ersten Jahren haben wir mal freitagabends gegen Braunschweig II gespielt, in der großen Arena, mit vielleicht 1.300 Zuschauern“, erinnert sich Frahn. „Das war schon befremdlich.“
Für ein Derby gegen Sachsen Leipzig im ersten Oberligajahr verschenkte RB Leipzig Tickets mit jeder verkauften RedBull-Dose. Trotzdem kamen statt der anvisierten 20.000 Zuschauer nur die Hälfte.
Überall gibt es große Vielfalt, nicht nur bei RB
Die Fans von Chemie Leipzig lehnten den Klub von Anfang an ab und sehen ihn heute noch kritisch. „Gerade zum Beginn des Engagements in Leipzig, als RB einen Einstieg beim grün-weißen Vorgängerverein FC Sachsen prüfte, gab es starken Widerstand, bevor es überhaupt konkret wurde“, teilt die Fanszene schriftlich mit. Am Ende hatte Red Bull das Startrecht des deutlich kleineren SSV Markranstädt übernommen.
Die verschiedenen Fangruppierungen in Leipzig leben ihr Fan-Dasein sehr unterschiedlich aus. „Generell stehen wir als Verein und Fanszene für demokratisches Miteinander, Zusammenhalt, Inklusion und vor allem eine freie, gelebte und selbstverantwortliche Fankultur, die ohne Repressionen auskommen soll“, schreiben die Chemie-Fans. Bei Lok, wo es lange Probleme mit rechten und gewaltbereiten Fans gab, heißt es heute: „Seit über einem Jahr richten wir mit den aktiven Fans gemeinsame Workshops aus und agieren zusammen immer lösungsorientiert. Wir können heute mit Fug und Recht behaupten, dass das Verhältnis zu unserer Fanszene so gut ist wie niemals zuvor.“
Auch bei Lok gibt es unterschiedliche Gruppen, die nicht immer gemeinsam singen: Viele eher ältere Anhänger stehen auf dem Dammsitz unter der Haupttribüne, wo einst auch Neonazis und Randalierer zu Hause waren, die der Verein mit Hausverboten aus dem Stadion gedrängt haben will.
Rund um RB Leipzig ist die Fanszene gerade dabei, sich vom Klub zu emanzipieren. „Nur mitklatschen reicht nicht“, formuliert es Sebastian Horn vom Fanverband. Das wurde im März deutlich, als ein großes Banner im Block hing: „Wir müssen reden – Dialog jetzt“ stand darauf. Die Fans ärgerten sich über die Kommunikation mit dem Verein sowie die hohe Fluktuation bei den Fanbeauftragten. RB-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff versprach, sich selbst darum zu kümmern. Jetzt hoffen beide Seiten, bis Ende des Jahres Lösungen zu finden.
Etwa 3.000 Fans bilden die aktive Szene
Auch innerhalb der RB-Fanszene gibt es immer wieder Reibereien. Neben der ultraaffinen aktiven Fanszene gibt es den Fanverband, der Auswärtsfahrten und Mitgliederabende organisiert und sich als Sprachrohr verschiedener Fanvereinigungen versteht: Der homosexuelle Fanclub „Rainbow-Bulls“ ist dabei, „L. E. United“, der dem rechten Spektrum nahestehen soll, dagegen nicht.
Den Vorwürfen anderer Fans, die Supporterszene um RB sei erkauft, begegnen RB-Anhänger oft mit Ironie. „Die Vollzahler“ heißt eine Fangruppe in Anlehnung an die am Anfang extrem stark rabattierten Tickets. „Wir sind Schweine, rote Bullen-Schweine, wir zahlen keinen Eintritt und trinken Champagner statt Bier“, heißt es in einem beliebten Fangesang.
Auf rund 3.000 Fans schätzen Mitglieder die Größe ihrer aktiven Szene. Dazu kommen viele regelmäßige Stadionbesucher. Die 23.000 Tickets für das DFB-Pokalfinale am Samstag waren innerhalb von nur drei Stunden weg. Bei Bundesligaspielen wird RB regelmäßig von vielen Auswärtsfans begleitet, international sah es hingegen teilweise noch anders aus. Ins rumänische Craiova, zum entscheidenden Europa-League-Qualifikationsspiel, fuhren gerade mal sieben RB-Fans.
In Leipzig haben RB, Lok und Chemie ihren Platz, ihre Zielgruppe gefunden. Insgeheim hoffen viele, dass Leipzig auf Dauer drei Profi-Vereine verträgt. Chemie könnte am Wochenende in die Regionalliga aufsteigen, Lok will kommende Saison die Dritte Liga anvisieren.
In den kommenden Monaten beginnt RB mit 50 Millionen Euro teuren Umbauarbeiten am Stadion, das dem Verein mittlerweile gehört. Eine weitere Baumaßnahme: In den Wall um das Stadion wird eine Schneise gefräst, damit die Fans leichter ins Stadion kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern