■ Querspalte: Alle Jahre wieder
Am Anfang spricht Helmut Kohl. Danach setzt ein unbändiges Gerenne und Gekrähe ein. Alle Kneipen sind überfüllt, nirgendwo ist ein Taxi zu kriegen. Die Frauen müssen vorher zum Friseur, ihre kürzesten Röcke und schwärzesten Nylons hervorsuchen und ihr dezent geschminktes Gesicht freundlich halten. Die Männer dagegen dürfen zerknittert und bedeutend aussehen.
Nein, nicht Silvester. Wir sprechen von der Frankfurter Buchmesse. Buchmesse heißt, den ganzen Tag in unbequemen Pumps herumstehen. Auf ein Gespräch mit den Literaturchef der XY-Zeitung hoffen, der einen aber wie jedes Jahr bloß im Vorbeigehen grüßt, während man selbst natürlich wieder am Würstchenstand unversehens und unausweichlich in die Nervensägen des Jahrhunderts rennt.
Durch die Messegänge schreiten derweil würdig die Lumpenkönige, die in ihrer Heimat als Buchhändler und somit als Kulturträger gelten. „Wir sind arm!“ sprechen ihre traurigen Augen, „aber euch, Verlage, zwiebeln wir bis zum Bankrott!“ ergänzen ihre gierigen Eckzähne, mit denen sie drohen, bis sie wieder 150 Prozent Rabatt und Rückgaberechte von morgen bis zum jüngsten Tag in Anspruch nehmen können. Denn was sich nicht ganz schnell verkauft, kostet noch schneller Geld. Bald wird der Ramschtermin vor dem Erstverkaufstag liegen. Unter den Teppichläufern in den Messegängen kriechen inzwischen die Verleger herum und winseln. „So leid es mir tut, aber ich kann Ihnen einfach kein Honorar zahlen“, ist das Eröffnungsstück im Großen Verleger-Gesangbuch von 1996 (27 Seiten, Halbleinen, Schundbindung, 198 DM). „Die Messe ist ein Verlustgeschäft“, heißt der jährliche Schlußchor aller Beteiligten, und nächstes Jahr machen wieder noch mehr mit. Die Kulturkritiker hauchen wie immer erbleichend ihr Mantra „Simulation“ oder „ekler Betrieb“ im Angesicht des Feindes (Halle 6, deutsche Belletristik), ehe sie sich in die Party des Jahres (Halle 6, deutsche Belletristik) stürzen. Ich freu' mich schon drauf. Susanne Fischer
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