■ Querspalte: Das Heimweh- Programm
Wenn das Wolf Biermann wüßte. In Frankfurt/Oder liegen „Überhangbestände“ im Keller. 3,9 Millionen leicht angestaubte DDR-Landkarten mit den alten Bezirks- und Staatsgrenzen warten auf ihre Neuverwendung. Nach den Plänen des brandenburgischen Innenministeriums werden sie nun doch nicht zu Toilettenpapier verschreddert. Sie sollen kostenlos an Brandenburgs Schulen verteilt werden. Weil erstens in der tuberkulösen Landeskasse kein Geld für neue Karten vorhanden ist und weil das Kartenmaterial zweitens laut dpa „das Heimatgefühl brandenburgischer Schulkinder festigen“ soll.
Also heim ins Trabbireich, zurück in Erichs schöne Puppenstube. Kruzifixe abnehmen, DDR-Karten aufhängen. Da werden sich die Kinder freuen, die meist die gute alte Zeit gar nicht mehr erleben durften. Während des letzten SED-Parteitags spielten sie noch mit dem Beißring. Ihrer eigentlichen Herkunft sind sie tief entfremdet. Was wissen die Kids von den jungen Pionieren, von Jahresendflügelfiguren, Goldbroiler und Schnitzel mit Zigeunermasse? Nichts. Eben!
Ein Fieberzäpfchen allein kann indes Heimatverlust und BRD-Verlorenheit, die ganze chronische Ossitis, niemals kurieren. Deshalb brauchen wir zusätzlich identitätsstiftende Heimwehkiller. Einen vorbildlichen Weg geht „Antenne Brandenburg“. In einer Spezialsendung dürfen die Hörer stundenlang über ihre Lieblings-DDR-Produkte quatschen. Design, Haptik, Geruch, Preis, Bezugsquellen. Trauerarbeit pur!
In diese Richtung muß es gehen. Brandenburgs Schulflure werden also ab sofort olfaktorisch geostet und wieder mit „Bohnerspänen“ gewienert. In der Pause gibt es original „Burger-Knäcke“ oder „Filinchen“. Schüler schneuzen ins Kriepa-Taschentuch und wischen sich den Allerwertesten mit Überhangbeständen der abgewickelten (sic!) hardcore-tollen Rolle Marke „Dessau-Standard“ ab („Hintern wund, Herz gesund“). Wenn die aufgebraucht sind, dürfen die Landkarten verwendet werden. Manfred Kriener
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen