■ Querspalte: Kreuzberg darf nicht sterben!
Berlin ist pleite. Angesichts der einfallslosen Politik des CDU/SPD-Senats kann die miese Situation der deutschen Hauptstadt niemanden verwundern. Insbesondere beim Marketing hat der Senat immer wieder kläglich versagt. Wir alle erinnern uns an die blamable Olympiabewerbung, die der Stadt weltweit Hohn und Spott einbrachte. Jetzt hat Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) einen Vorschlag von ähnlicher Tragweite gemacht.
Nach dem Willen des Senators soll die Zahl der Berliner Bezirke von 23 auf 12 reduziert werden. Ist die Abschaffung der Berliner Kleinstaaterei an sich positiv, so enthält der Vorschlag einen tragischen Fehler. Schönbohm will ausgerechnet Kreuzberg, Berlins bekanntesten Bezirk, abschaffen – wohl weil die CDU bei den Wahlen hier immer so schlecht abschneidet. Der Alternativ-, Krawall- und Multikulti-Bezirk, der weltweit das Image Berlins prägt, soll mit den Bezirken Mitte und Tiergarten zusammengelegt werden und dann nur noch phantasielos „Mitte“ heißen. Liebling Mitte? Stolze Kreuzberger unter den Namen des künftigen Regierungsviertels zu subsumieren, ist ein Anschlag auf das Ego jener Menschen, die meist aus Heidenheim, Izmir, Lodz oder Castrop-Rauxel stammen und heute im Szenebezirk zu Hause sind.
Die Kreuzberger haben bereits in den letzten Jahren schwer leiden müssen. Erst nahm man ihnen die Mauer, dann die legendäre Postleitzahl 36. Wer ihnen jetzt den noch legendären Namen stehlen will, versetzt nicht nur einem Mythos den Todesstoß, sondern zeigt, daß er Berlin nicht verstanden hat. Schönbohm sollte sich ein Beispiel am früheren bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl nehmen. Der hatte in der Bonn-Berlin-Debatte vor der „Hauptstadt Kreuzberg“ gewarnt. Zwar war dies nichts als miese Stimmungsmache, doch der Bayer hatte begriffen, daß Berlin von Kreuzberg geprägt wird. Eine wegweisende Bezirksreform kann also nur so aussehen: Die ganze Stadt wird zu einem Bezirk zusammengelegt, und Berlin heißt künftig Kreuzberg. Wie denn sonst? Sven Hansen
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