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■ QuerspalteDer große Wurf

Der Amerikaner an sich ist ja bekannt für seine materielle Anteilnahme in emotionalen Momenten. Während hierzulande schon die Oder einige Wohnviertel und ein Busdepot überschwemmen muß, um dem gemeinen Deutschen ein paar mildtätige Groschen zu entlocken, tut's dort eine Mehrlingsgeburt. Da läßt sich eine Frau aus Iowa künstlich befruchten, entwickelt Siebenlinge, und nachdem eine Armada von Medizinern dafür gesorgt hat, daß womöglich das volle Septett den ersten Auftritt überlebt, schwebt eine Nation im Solidaritätsrausch.

Die lieben Kleinen ruhen noch im Brutkasten, schon wittern ganze Industriezweige den großen Wurf mit dem großen Wurf. Für die McCaugheys gibt's jetzt alles geschenkt – Apfelsaft bis zum Abwinken und darüber hinaus, weil Apfelsaft ja bekanntlich abführt, Windeln auf unbestimmte Zeit (vom Kompott zum Kompost. Ein Wirtschaftskomplott?). Auch ein neues Familienauto (mit 15 Sitzen) steht schon vor dem Haus, und weil selbiges jetzt ja viel zu klein ist, legt die Bauindustrie nach und baut gleich 'ne neue Hütte – mit Kabelanschluß und Internet. Auch die Hochschulen sind auf den fahrenden Zug gesprungen: Sollten die McCaugheys alle den Sprung aus dem Inkubator schaffen und dabei nicht allzu debil sein, winken Stipendien.

Derweil sind die Medien nachgezogen: NBC hat die Exklusivrechte und präsentiert uns Ultraschallbilder von der Schwangerschaft. Die sind etwa so vielsagend wie die ersten verschwommenen Unterwasserbilder vom Titanic-Wrack. Aber egal. Ist das kollektive Kindchenschema Amerikas erst mal aktiviert, läßt sich alles vermarkten. Und wir wissen es jetzt besser: Künstliche Befruchtung ist mehr als nur ein Ausweg aus der Kinderlosigkeit. Es ist eine Marketingstrategie. Und weil das so ist, haben die schwarzen Sechslinge, die unlängst in Washington (ohne künstliche Befruchtung) geboren wurden, nicht einmal halb soviel Aufmerksamkeit bekommen. Was? Schwarz? Naa. Matthias Stausberg

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