■ Querspalte: Schnupfen ist cool
Schnupfen ist ein undankbarer Winterdefekte und gilt als „uncool“. Überall in der Wohnung liegen verschnupfte Taschen- und Geschirrtücher, Unterhosen, und T-Shirts herum; trotzdem streichelt einem niemand zärtlich bedauernd über den Kopf und findet tröstende Worte, wenn man mit einer gefühlten Temperatur von 39 Grad und laufender Nase herumläuft. Im Gegenteil.
Viele Mitbürger reagieren unsensibel, erzählt man ganz sachlich von der Grippe, die seit zwei Wochen dabei ist, einen dahinzuraffen. Dann hätte man sich eben ein bißchen zurücknehmen sollen Weihnachten und Silvester, sagen sie elternhaft, und wie oft hab ich dir gesagt, daß man sich die Haare föhnen soll nach dem Duschen. Manche tun auch ironisch besorgt, wenn man gemeinsame Lokalbesuche wegen Erkältung verweigert. Degradierend nesteln sie an dem Schal rum, den man trägt, und sagen, jaaa, da müsse man natürlich aufpassen, daß man das nicht verschleppe. Und man solle auf sich achtgeben und viel Orangen essen.
Glücklich ist der, der schöne Namen für seine Erkältung findet. Meine Nachbarin ist zum Beispiel wieder fröhlich, nachdem sie beim Arzt war und gibt ein bißchen mit ihrer „Rhinositis“ oder „Sinositis“ und „Tubenverstopfung im Kopf“ an.
Eigentlich sind Erkältungen auch nicht sooo schlimm. Im Zwischenreich zwischen Krank- und Gesundsein kann man es sich schön gemütlich machen. Weich wie Watte und leicht benebelt gibt sich die Welt und stellt einem heiße Milch mit Knoblauch, Honig oder Ingwer ans Bett. Und weil das ein bißchen eklig schmeckt, darf man sich danach auch ein bißchen antizyklisch verhalten. Zum Beispiel viele Zigaretten rauchen, die sehr interessant schmecken, oder sich von süddeutschen Krankenbesuchern Sherry mitbringen lassen und lustige Lieder singen („ein echter Pfälzer braucht kein Hasch / unser Stoff kommt aus der Flasch“) und dabei den Fernseher angucken. Der Fernseher wird übrigens zu Unrecht verleumdet, wie ich finde. In meinem Fernseher zumindest ist immer was los. Detlef Kuhlbrodt
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