■ Querspalte: Kapitalistische Ideenwelt
Chinas Partei- und Staatschef Jiang Zemin ist von dem US- amerikanischen Blockbuster „Titanic“ begeistert. Chinas Steuermann empfiehlt den Hollywood-Streifen, der demnächst im Reich der Mitte anläuft, aufs wärmste. Sein fachkundiges Urteil: „Dieser Film zeigt vollständig, wie Menschen in einer schwierigen Situation mit den Beziehungen zwischen Geld und Liebe, Armut und Wohlstand umgehen.“
Was genau hat den weisen Präsidenten der Volksrepublik an dem Untergangsepos so beeindruckt? War es der Klassenkampf zwischen Ober- und Unterdeck um die letzten Rettungsboote? Oder das Orchester, das in geradezu sozialistischer Planerfüllung bis zum bitteren Ende weiterspielte? Vielleicht der Kapitän, der das sinkende Schiff nicht verlassen wollte? Oder träumt der greise Jiang gar davon, noch mal so jung zu sein wie Leonardo DiCaprio? Hat er sich vielleicht heimlich in die Hauptdarstellerin Kate Winslet verliebt? Oder möchte Jiang für den Aufbau Chinas auch einmal gern für so viele Oscars im Gespräch sein wie der Film?
Nein, Chinas Gebieter über die sozialistische Marktwirtschaft hält den Film schlicht für ein positives Beispiel für die Ideenwelt des Kapitalismus. Jiang sagte den Delegierten des Volkskongresses: „Wir sollten nicht denken, daß wir vom Kapitalismus keine Ideen übernehmen können.“ Welche, sagte Chinas Führer leider nicht. Doch er stellte klar, damit propagiere er keine „kapitalistischen Dinge“. Zugleich zeigte sich Jiang aber davon beeindruckt, daß der Film bei Produktionskosten von 200 Millionen Dollar weltweit bereits eine Milliarde eingespielt hat. In Anlehnung an Deng Xiaoping wollte der Staats- und Parteichef damit wohl ausdrücken: Es ist egal, ob ein schwarzweißes Schiff schwimmt oder untergeht, Hauptsache, es verdient Mäuse. Als weiteren „guten“ Hollywood-Film empfahl Jiang übrigens den Politbüromitgliedern den Film „Vom Winde verweht“. Was wollte er ihnen damit bloß sagen? Sven Hansen
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