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■ QuerspalteBewußtseinserweiterung im Amt

„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, sagt Wittgenstein. Ganz in diesem Sinne hat die Gesellschaft für deutsche Sprache die „Sprachbarriere Amtsdeutsch“ ausgemacht. Diese Barriere gilt es einzureißen. Deshalb bringt die Sprachgesellschat einen Ratgeber mit dem schönen Namen „Fingerzeige für die Gesetzes- und Amtssprache“ heraus. „Bürgernähe und Lockerheit“ soll „die Sprache der verwalteten Welt“ künftig auszeichnen. Empfohlen von zwei Bundesministerien wird das Werk bald Pflichtlektüre in jeder deutschen Amtsstube.

Das Büchlein soll die deutschen Finanzämter, Meldestellen und Ministerien verändern. Statt „Wortgetöse“ soll dort verbale „Einfachheit“ herrschen, fordern die Sprachwissenschaftler. So rät der Ratgeber die „Geschlechtsbezogene WC-Anlage“ besser „Damen- und Herrentoilette“ zu nennen. Statt „Wahllichtbildvorlage“ steht künftig im Polizeiprotokoll: „Dem Zeugen wurden Fotos vorgelegt.“ Den Bürger verstehen und von ihm verstanden werden, für viele Beamte scheinbar eine neue Erfahrung. Eine kollektive Bewußtseinserweiterung im öffentlichen Dienst quasi. Ein Abenteuer gar, denn Spracherfahrung ist ja Grenzerfahrung und Welterfahrung (Wittgenstein s.o.).

Die Erkenntnis, Sträucher am Wegesrand nicht als „Straßenbegleitgrün“ zu bezeichnen, mag banal scheinen. Sie ist es aber nicht, denn das Einfache ist unverblümt und konkret. Doch zu viel Konkretheit durch einfach Sprache möchten die Sprachwissenschaftler den Staatsdienern nicht zumuten. So empfiehlt der neue Ratgeber den Satz „An der Außerlandesschaffung von Ausländern besteht öffentliches Interesse, wenn...“ durch „Es besteht ein öffentliches Interesse daran, den Inlandsaufenthalt von Ausländern zu beenden, wenn...“ zu ersetzen. Das klingt doch noch immer nach dem geschmähten Amtsdeutsch. Da steht die Sprachbarriere wie eine Betonmauer. In der Welt draußen heißt das schlicht und konkret: „Ausländer raus, wenn...“ Robin Alexander

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