■ Querspalte: Der DGB-Staat
In der DGB-Zentrale in Düsseldorf herrschte gestern allerbeste Stimmung. Das Rheinwasser gluckste in den Kaffeemaschinen, die Akten strahlten, die Kopierer summten, die Bürosessel quietschten, die Tische glänzten. In der Kantine tanzten die Panierschnitzel zu „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ und die Salatbeilagen stimmten freudig mit ein. Und draußen auf dem Parkplätzen jaulten die Corsa-Motoren auf. Ja, es war wohl der schönste Tag, den die Zentrale je erleben durfte. Ein Traum der Arbeiterbewegung war Wirklichkeit geworden. Alle Widersprüche waren überwunden, Mensch und Maschine, Möbel und Inventar zur Gemeinschaft verschmolzen. Am Mittag saßen dann glückliche Betriebsräte über glücklichen Tellern und glücklichen Tassen. Wir müssen nicht weg, wir müssen nicht weg, schallte es durch die Kantinendünste zum Rhein hinab.
Der Jubel war verständlich. Seit Dienstag, dem Tag, als die Delegierten des DGB-Kongresses den Umzug ihrer Zentrale nach Berlin niederstimmten, ist der deutschen Gewerkschaftsbewegung vieles erspart worden. Sie hatten die Warnung des DGB-Betriebsrats erhört: „Es ist überhaupt nicht zu ermessen, wieviel Leid ein solcher Umzug für den einzelnen verursachen wird.“
Wir hier in Berlin verstehen das. Wir können, genauso wie der Betriebsrat, auch schon nicht mehr Deutsch. Weil nämlich zu viele Ghettos und zuwenig Innensenator Schönbohm. Und dann wollten wir uns gestern eigentlich die Eröffnung der Fußball-WM im Fernsehen ansehen. Aber wir litten. Es war einfach zu laut, draußen schossen Serben Albaner nieder und Nato-Flugzeuge überflogen unseren Redaktionssitz. Soviel Leid um uns herum, wir wünschten uns nach Düsseldorf. In die DGB-Zentrale. Zu einem Gläschen Kölsch und zu den netten rheinischen Betriebsräten, den glücklichen Möbeln und freundlichen Computern. Zur nächsten Fußball-WM im Jahr 2002 kommen wir bestimmt – versprochen. Severin Weiland
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