■ Querspalte: Schneller, als man denkt
Ich bin jetzt 37 Jahre alt – das Leben hat gerade angefangen. Wie gestern kommt es mir vor, daß ich im Hofgarten vor der Bonner Uni Frisbee spielte und die Vorlesung in Wirtschaftsgeschichte schwänzte. Die Erkenntnis, daß die Blüte meines Lebens bald schon welkt, trifft mich dieser Tage wie der Schlag. Vielleicht kann ich in 18 Jahren in Altersteilzeit gehen und mich wenig später ganz zur Ruhe setzen. Zwar werde ich, mein gegenwärtiges Gehalt hochgerechnet, nur eine Rente von 438,50 monatlich angespart haben, doch dank Arbeitsminister Riesters Rentenfonds droht mit 60 nicht das Elend.
Kein Projekt verfolgt die rot-grüne Regierung so konsequent wie die Beschleunigung des Alterns. Ein Politmix wird geplant, erscheint der vierte Lebensabschnitt doch als Schlüssel zur Lösung vieler Probleme. Verkehrsminister Müntefering: Möglicherweise müsse man sehschwache und reaktionslahme AutofahrerInnen früher als bisher aus dem Verkehr ziehen, damit sie kein Unheil mehr anrichten. Das hat eine ökologische Komponente, denn der Transport verlagert sich vom Auto zu Bahn und Bus. Auch technologiepolitisch erscheint Münteferings Vorstoß sinnvoll: Vor dem Hintergrund der begrenzten Restlaufzeit macht es wenig Sinn, in überalterte biologische Systeme noch Geld für Brillen und Medikamente zu investieren. Diese Auffassung teilt Umweltminister Trittin: Die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente lehnt er ab und plädiert für die direkte Endlagerung. Klarer Fall: Wegwerfen ist billiger, sicherer und schafft die Voraussetzungen für die Herstellung moderner Produkte, die dem Stand der Technik entsprechen.
Ärztefunktionär Vilmar wurde vom Sturm der Entrüstung fast hinweggefegt, als er eine lebensbegrenzende Wirkung in Gesundheitsministerin Fischers Medizinreform hineininterpretierte. Vielleicht hat der Tablettenlobbyist gar nicht so unrecht. Dem rot-grünen Hang zur Innovation würde das jedenfalls entsprechen. Hannes Koch
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