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QueerfeindlichkeitSonnenbrillen gegen das Patriarchat

Luxusmarken lösen keine strukturelle Diskriminierung. Trotzdem erlebe ich mit meiner Balenciaga-Brille weniger Anfeindungen.

Wenn ich mich und die Mode, die ich trage, mag, wenn ich weiß, dass ich slaye, habe ich mehr Selbstbewusstsein Foto: Pond5/imago

E igentlich ist es ruhig, als ich abends in meiner neuen Wohngegend nach Hause laufe. An der Bushaltestelle sitzt eine Gruppe Jugendlicher, und ich höre sie ganz leise im Vorbeilaufen sagen: „Guck mal, die Drecks-Transe da hinten!“. Und weiter: „Wegen solchen wie dem wähle ich AfD, haha“. Nun bin ich ja weder trans noch dreckig. Und dass ich mich als non-binary identifiziere, tut nichts zur Sache.

Diese Situation ist nur ein plastischer Ausschnitt von dem, was ich in ähnlicher Form immer wieder erlebe, wenn ich einfach nur durch Frankfurt, Köln oder Berlin gehe. Und das nur, weil ich manchmal Kleidung trage, die nicht ganz in die vorgefertigten Schubladen derer passt, die mich für einen Mann halten – hier einen Rock oder bei 35 Grad im Schatten auch mal bauchfrei.

Sich anzuziehen, wie man gern möchte, ist in Deutschland im Jahr 2025 ein Ritt auf des Messers Schneide. Es gibt gute Tage, an denen ich bereit bin, die Queerfeindlichkeit zu ertragen. An anderen kann ich diesen derartigen Alltagsaktivismus nicht betreiben. Umso schwerer fällt es, wenn mich unfreiwillig ein Termin aus dem Haus drängt.

Dabei nehme ich wohl nur einen Bruchteil der Reaktionen und dummen Sprüche überhaupt wahr. Einmal, so hat es mir eine Freundin erzählt, hätte ein Typ hinter uns zu seinem Kumpel sogar gesagt, er würde mir am liebsten hier und jetzt die Zähne ausschlagen. Ich habe das gar nicht mitbekommen. Besser so, denke ich.

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Diese Realität ist offenkundig meine Realität, und auch wenn das vielleicht nicht so wirkt, bin ich im Großen und Ganzen doch recht vorsichtig und nehme öfter ein Uber als es der Busfahrplan vermuten lassen würde. Aber es gibt eine spannende Beobachtung, die mir im letzten Jahr aufgefallen ist.

Irgendwann im letzten Sommer habe ich angefangen, Sonnenbrillen einschlägiger Marken als Accessoire für mich zu entdecken. Ich hatte mich in ein Modell von Prada und in eines von Balenciaga verliebt. Mein erster Impuls war: Toll, wenn ich das jetzt trage, dann bin ich ja noch vulnerabler. Aber nach den ersten Sommertagen, an denen die Prada-Brille mein Gesicht verzierte, fiel mir etwas auf: Es wurde weniger. Spürbar, trotz Tunnelblick. Warum auch immer führte mein neues Accessoire eine Art „Social Buffer“ ein, der die queerfeindlichen Mikroaggressionen erheblich, fast gänzlich reduzierte.

Ich fragte mich: Liegt es an der Sonnenbrille an sich als Accessoire oder an dem auffälligen Design? Vielleicht ist es die Attitüde, die man entwickelt, wenn man Mode trägt, die man für sehr schick hält? Ich spürte jedenfalls, wie sich meine Haltung änderte und ich aufrechter lief. Wer Mode trägt, die für einen wahrlich slayed, ist selbstbewusster.

Aber der Effekt, den meine Brillen haben, erinnert mich auch an die vielen Beobachtungen, wie punktueller sozialer Status Diskriminierungen individuell abschwächen kann. Rassistisch diskriminierte Menschen erleben oft, dass wenn sie quasi besonders „deutsch“ wirken, ihre individuelle Rassismus­erfahrung leicht abnimmt. Die Lösung für ein strukturelles Problem ist das nun in keinem Fall, auch nicht für Queerfeindlichkeit.

Vielleicht müssen wir deshalb zukünftig gar nicht alle Balenciaga-Brillen oder andere Luxusgüter erstehen, um das Patriarchat zu besiegen. Eine Erkenntnis aber bleibt: Wenn ich mich und die Mode, die ich trage, mag, wenn ich weiß, dass ich slaye, habe ich mehr Selbstbewusstsein. Ob mit oder ohne Balenciaga. Und das schützt.

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