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Queere Selbstsuche auf der BerlinaleMal im Geheimen, mal in Freiheit

Queere Selbstsuche in konträren Realitäten: „All the Colours of the World Are Between Black and White“ aus Nigeria und der Berlin-Film „Drifter“.

In Nigeria wird Homosexualität bestraft. Martha Orhiere in „All the Colours“ von Babatunde Apalowo Foto: Polymath Pictures

Die Panorama-Sektion der Berlinale steht seit jeher für Queerness. Dennoch sind Filme mit deutlichem LGBT-Bezug dort in diesem Jahr besonders stark vertreten. Mit 16 von 35 Titeln stellen sie fast die Hälfte des Programms. Mehr noch: Die Filme nehmen noch vielfältigere Perspektiven ein, als sie es zumindest zuletzt in den coronagebeutelten Jahren taten.

Dass die Sektion zugleich das zarte Liebesdrama „All the Colours of the World Are Between Black and White“ aus Nigeria und „Drifter“, einen bewusst schaugierigen Film über den ungezügelten Hedonismus der queeren Szene in Berlin, beherbergt, bringt das am Klarsten zum Ausdruck. Beide ergründen den inneren Aufruhr, erzählen vom Hadern und letztlich auch vom Glück, das die Suche nach dem Selbst mit sich bringt.

Doch könnte dieser Prozess bei ihnen nicht unterschiedlicher sein. Das hat mit der Umgebung zu tun, in der Bambino (Tope Tedela) und Moritz (Lorenz Hochhuth) ihre Identität ausloten, und mit ihrem jeweils ganz anderen schwulen Selbstverständnis. Konträr sind auch die Inszenierungen, ungleich die Bildwelten und Stimmungen.

Die Isolation wird tonlos fassbar

​„All the Colours“ und „Drifter“

„All the Colours of the World are Between Black and White“, 25. 2., 21.45 Uhr, Cubix 8

„Drifter“, 23. 2., 22 Uhr, Zoo Palast

Der mittlerweile in Großbritannien beheimatete Regisseur Babatunde Apalowo richtet den Blick in „All the Colours“ in statischen Einstellungen meist auf seinen Protagonisten. Gerade zu Beginn ist es einzig Bambino, den die Kamera einfängt. Seine Gesprächspartner verschwinden hinter Türen, Mauern oder sind erst gar nicht im Bildfeld.

Die Isolation, die das Abschirmen von Facetten seines Selbst mit sich bringt, wird tonlos fassbar. Das meiste in Apalowos Langfilmdebüt spielt sich ohne viele Worte ab. Beinahe stumm nähert sich Bawa (Riyo David) Bambino an, den er nur durch die Linse einer Kamera richtig anzusehen wagt. Bawa jobbt in einem Wettbüro und schießt nebenbei Passfotos. Anders als Bambino hat er sich seine Homosexualität zumindest vor sich selbst eingestanden.

Viel mehr ist in der nigerianischen Heimat der beiden Männer, die homosexuelle Handlungen unter Strafe stellt, auch nicht möglich. Bis zu 14 Jahren Haft werden verhängt. In einigen Bundesstaaten, die die Scharia anwenden, kann sogar eine Hinrichtung durch Steinigung drohen. So lavieren sie langsam umeinander, tasten über vorsichtige Blicke und zufällig wirkende Berührungen ab, was der andere fühlt und denkt.

Unter dem Vorwand, dass Bambino als Lieferant die Gegend am besten kenne und Bawa beim Finden von interessanten Fotomotiven helfen könnte, unternehmen sie gemeinsame Ausflüge in die Natur. Sie wird zum Zufluchtsort, abseits der gefahrvollen räumlichen Enge in der 14-Millionen-Einwohner-Stadt Lagos.

Das freisinnige Berlin und seine sexpositive Partyszene

Ganz anders verhält es sich in „Drifter“, wo das freisinnige Berlin und seine sexpositive Partyszene für Moritz zum Katalysator seiner Selbstsuche werden. Eigentlich ist er für seinen Freund Jonas (Gustav Schmidt) aus der Provinz hergezogen. Doch wie das mit der bereits zum Klischee gewordenen Unverbindlichkeit der Hauptstadt so ist, möchte Jonas der Enge einer Beziehung unmittelbar wieder entfliehen.

Um nicht in Einsamkeit zu verfallen, taucht Moritz in das ein, was ihm sein Ex-Freund von der Metropole zeigte und er zunächst mit einer gewissen Vorsicht beobachtete: tagelange Raves und Techno-Clubs, Drogentrips und schnelle sexuelle Begegnungen. Hannes Hirsch beleuchtet den Exzess, den schwules Leben in Berlin mitunter bedeuten kann.

Dabei zeigt sich „Drifter“ weder euphorisch für diese Freizügigkeit noch dämonisiert er sie. Im Erzählen von Moritz’ zweitem Coming-out hinterfragt Hannes Hirsch vielmehr, wie groß die Freiheit angesichts strenger Körperideale und der Erwartung, ständig in Feierlaune und Stimmung zu sein, tatsächlich ist. Die Kamera scheint absichtlich voyeuristisch vorzugehen und macht den gaze, dem Moritz ständig ausgesetzt ist, greifbar.

Was tun mit dem eigenen Leben?

Im Ergebnis scheinen beide Filme trotz aller Unterschiede auf das Gleiche hinauszuwollen. Sie machen eine Sorge sichtbar, die die Protagonisten antreibt. In wenigen Dialogzeilen in „All the Colours“ wird diese treffend auf den Punkt gebracht.

Als Bawa in einem hoffnungslosen Moment fragt, ob sie nur ihre Zeit verschwenden, entgegnet Bambino ungewöhnlich klar: „Zeit kann man nicht verschwenden. Sie ist endlos und läuft immerzu. Was wir verschwenden können, ist unser Leben.“

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