Pygmäen im Kongo: Wer schützt Kongos „erste Bürger“?

Die Nachkommen der ursprünglichen Bewohner der Regenwälder werden im Kongo massiv diskriminiert. Jetzt soll ein Gesetz ihre Rechte garantieren.

Abendstimmung in einem Dorf mit kleinen Häusern, Menschen versammeln sich enstspannt

Abendstimmung im Pygmäen-Dorf Ikoko-I-Mpenge im kongolesischen Regenwald Foto: Christoph Püschner/Zeitenspiegel/epd

BRÜSSEL taz | Kaum eine Minderheit in der Demokratischen Republik Kongo gilt als so schutzlos wie die der „Pygmäen“, die sogenannten Ureinwohner der zentralafrikanischen Regenwälder. Zuletzt bewies dies ein Massaker an 46 von ihnen in der Gemeinde Abembi in der nordostkongolesischen Provinz Ituri am 13. Januar – ein Verbrechen, das der Leiter des zivilgesellschaftlichen Dachverbandes von Ituri als „Akt des Völkermordes“ bezeichnet hat.

Verbände der autochthonen Völker des Kongo verlangen bislang vergeblich die Entlassung der in der Region stationierten Militärverantwortlichen. Patrick Saidi Hemedi, Koordinator des NGO-Dachverbandes DGPA (Dynamik der Gruppen der autochthonen Völker), mutmaßt, dass andere Volksgruppen sich das von „Pygmäen“ genutzte Land mit Gewalt aneignen wollen.

600.000 bis 700.000 Menschen – weniger als 1 Prozent der Bevölkerung – gehören laut Weltbank zu Kongos „ersten Bürgern“, wie Exdiktator Mobutu Sese Seko die „Pygmäen“ bezeichnete. Aber nur rund 40.000 pflegen immer noch das traditionelle Leben der Jäger und Sammler in den Urwäldern. Die anderen leben in Dörfern und Städten, meist ganz unten in der Gesellschaft.

Die koloniale Bezeichnung „Pygmäen“ lehnen die meisten ihrer Vertreter als diskriminierend ab und bevorzugen „autochthone Völker“ – was wiederum andere Kongolesen befremdet, da es suggeriert, dass die anderen Fremde seien. „Batwa“ heißen sie in den meisten Landesteilen, „Bambuti“ in Ituri, „Baka“ in Ban­dundu oder auch „Cwa“ in Kasai.

Kein Recht auf Grundbesitz

Früher wurden „Pygmäen“ von anderen Volksgruppen als minderwertig angesehen, und bis heute werden sie im Kongo rechtlich diskriminiert. Anders als anderen Bevölkerungsgruppen wird ihnen kein traditionelles Eigentumsrecht an dem von ihnen bebauten Land zugestanden, und auch ihre eigenen traditionellen Autoritäten werden nicht anerkannt.

Laut Cyprien Mushonga, Anwalt in Bukavu in der ostkongolesischen Provinz Süd-Kivu, gelten von „Pygmäen“ bestellte Felder als herrenlos. So konnte im Jahr 2006 in Süd-Kivu das Naturreservat Itombwe ohne Konsultation der auf dem Gebiet lebenden Batwa entstehen – sie wurden ausgewiesen, wie bereits in den 1980er Jahren bei der Schaffung des benachbarten Parks Kahuzi-Biéga.

Dort wurden 6.000 Waldbewohner in Lager außerhalb der Wälder gezwungen – sie leben bis heute im Elend am Straßenrand, so die Waldschutzorganisation Rainforest Foundation.

Bis heute werden Batwa, die in Kahuzi-Biéga Holzkohle sammeln oder jagen, von Parkwächtern verfolgt und teils vor Gericht gestellt. Die Organisation Survival International wirft den vom Ausland finanzierten Parkwächtern in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen Republik Kongo „grünen Kolonialismus“ und „systematische“ Menschenrechtsverletzungen vor.

Hoffnung über neues Gesetz

Ende 2020 verabschiedete Kongos Parlament nach langen Beratungen ein umfassendes „Gesetz zur Förderung und zum Schutz der autochthonen Pygmäenvölker“, das deren Angehörigen das Landeigentumsrecht zuerkennt. Es erkennt ihre Kultur und „die „unbeschränkte Nutzung des Bodens“ an und garantiert ihnen kostenlosen Zugang zu Bildungs- und Gesundheitswesen sowie zur Justiz auf Staatskosten. Vorbild ist ein gleichnamiges Gesetz im benachbarten Kongo-Brazzaville aus dem Jahr 2011.

Patrick Saidi hofft, dass nun endlich auch die traditionellen heiligen Stätten der Pygmäenvölker respektiert werden und die Diskriminierung im Alltag endet.

„Pygmäenkinder können nicht in dieselben Schulen gehen wie die anderen, Pygmäenfrauen dürfen nicht in dieselben Geburtsstationen“, sagt der Abgeordnete Ruben Rachidi Bukanga, der das Schutzgesetz ins Parlament einbrachte. Wenn sie doch in die Schule gehen, werden sie oft von anderen Kindern malträtiert. Nur ein Fünftel der „Pygmäenkinder“ geht zur Schule, 80 Prozent der erwachsenen Männer und an die 100 Prozent der erwachsenen Frauen der „Pygmäenvölker“ können nicht lesen und schreiben.

Rund ein Viertel aller „Pygmäenkinder“ stirbt vor dem 5. Geburtstag; von Impfprogrammen sind sie meistens ausgeschlossen. Als Erwachsene werden sie meist als Hilfsarbeiter ausgebeutet und wenig oder gar nicht bezahlt, so eine Untersuchung der Weltbank. Wenn sie den Zugang zu ihren angestammten Jagd- und Fischgebieten aus Naturschutzgründen verlieren, enden sie oft als Bettler oder Wilderer.

In Kriegen instrumentalisiert

In den bewaffneten Konflikten des Kongo seit der Unabhängigkeit wurden „Pygmäen“ oft von Armeen und bewaffneten Gruppen missbraucht, berichtet Kapupu Diwa, Präsident der Nationalen Liga der Verbände autochthoner Pygmäen – als Ortskundige im Wald, als Fährtenleser, Lastenträger und Jäger. Milizen schickten sie auch gern als Späher los, weil den Waldvölkern oft zugeschrieben wird, sich unsichtbar oder unverwundbar machen zu können.

Dass Diktator Mobutu „Pygmäen“ in die Armee aufnahm und auch einen ins Zentralkomitee seiner Einheitspartei MPR, geriet ihnen nicht zum Vorteil, erinnert sich der Journalist Roger Mazanta Kindulu – ihre Gemeinschaften wurden oft Opfer kollektiver Übergriffe, und wenn sie nicht kämpfen wollten, wurden sie vertrieben.

2003 gab es in Ituri Vorwürfe von massivem Kannibalismus an Bambuti-Pygmäen sowie von Vergewaltigungen: Geschlechtsverkehr mit einer „Pygmäenfrau“ galt bei Kämpfern anderer Ethnien als Heilmittel gegen Aids oder Rückenschmerzen.

Seit 2018 häufen sich Zusammenstöße zwischen vertriebenen „Pygmäen“ und Wildhütern im Kahuzi-Biéga-Park, die regelmäßig deren Holzkohlesäcke beschlagnahmen; Anfang Dezember gab es dabei vier Tote, darunter ein Soldat.

Weiter südlich in der Provinz Tanganyika herrscht seit 2013 Krieg zwischen Milizen der Twa und der Luba, mit zeitweise über einer halben Million Vertriebenen. Die Provinzregierung warf zuletzt einer Twa-Miliz vor, sich des Goldes aus informellen Minen bemächtigen zu wollen. Und Mitte Januar tötete eine Twa-Miliz in Kasai fünf Polizisten und verlangte eine eigene Distriktverwaltung.

Jeder solche Vorfall ist ein Grund mehr für den kongolesischen Staat, sich um seine „ersten Bürger“ zu kümmern. Zahlreiche Pygmäenvertreter strömten jubelnd zum Parlament in der Hauptstadt Kinshasa, als im Dezember das neue Gesetz mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, und hoffen nun auf Gleichberechtigung und volle Anerkennung.

Doch weiß auch jeder, dass die Verabschiedung eines Gesetzes im Kongo noch lange nicht bedeutet, dass es auch angewendet wird. Und es muss auch erst noch vom Präsidenten in Kraft gesetzt werden.

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