Putin gewinnt Wahlen in Russland: Damenstrümpfe und Webkameras
Putin wird wieder Präsident. Am Wahltag herrschte an den Urnen in Moskau großer Andrang. Trotz ausgefeilter Überwachungstechnik gab es genügend Möglichkeiten, zu betrügen.
MOSKAU taz | Im Wahllokal 1712 am Leninskij Prospekt in Moskau herrscht reger Andrang. Schon in den Morgenstunden kamen mehr Wähler als beiden vorherigen Wahlen. Beide Lager, die Anhänger des aussichtsreichsten Kandidaten Wladimir Putin und das heterogene Spektrum der Protestwähler, haben auf breiter Front mobil gemacht.
An der Wand des Wahlbüros in der Berufsschule für Servicekräfte hängt eine Ikone der Mutter Gottes zwischen zwei Webkameras, mit denen die Vorgänge im Wahllokal überwacht werden. Nach den Fälschungswürfen an die Adresse der Regierungspartei Einiges Russland bei den Dumawahlen im Dezember hatte Wladimir Putin die Installation von Webkameras in 96.000 Wahllokalen landesweit angeordnet, um dem Wähler das Gefühl zu vermitteln, diesmal ginge alles mit rechten Dingen zu.
Die Hightechausstattung steht in gewissem Kontrast zur Tradition aus sowjetischen Zeiten. Wie damals wartet auch heute auf den Wähler ein üppiges Büffet mit Piroggen, Kuchen und Plätzchen zum Selbstkostenpreis. Auch reizvolle Damenstrümpfe - halterlos - sind im Angebot. Früher war das Wählen ein Volksfest, das Ergebnis stand ohnehin vorher fest.
Auch diesmal wird Wladimir Putin als Kremlchef aus den Wahlen hervorgehen. Die Wahlkommission in Moskau teilte am Sonntagabend nach Auszählung von 14,5 Prozent der abgegebenen Stimmen mit, dass er bei 61,8 Prozent liegt. Damit konnte sich der 59-Jährige bereits im ersten Wahlgang eine dritte Amtszeit als Präsident des größten Landes der Welt sichern.
Putins Herausforderer von der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, kam den Angaben zufolge mit 17,8 Prozent auf den zweiten Platz. Sjuganow bezeichnete die Wahl in einer ersten Reaktion im staatlichen Fernsehen als „gefälscht“ und „absolut unfair“. Weiter abgeschlagen waren der Nationalist Wladimir Schirinowski mit 7,8 Prozent, der Milliardär Michail Prochorow mit 7,6 Prozent und der frühere Vorsitzende des Föderationsrates, Sergej Mironow, mit 3,6 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag gegen 15.00 Uhr bei mehr als 58 Prozent.
Für Aufregung sorgte alelrdings, wieviel Prozent Wahlbetrug trotz Kameras von den Herrschenden auf anderen Wegen organisiert wurden.
Nach der Diplomatenschmieder Wahlbeobachter
Im Wahllokal 1712 sind drei Wahlbeobachter zugegen – Studenten der diplomatischen Eliteuniversität MGIMO. Sie gehören als Wahlbeobachter zum Team des Präsidentschaftskandidaten Michail Prochorow. Der Milliardär ist der einzige Kandidat, der zum ersten Mal antritt. Alle anderen Prätendenten, der Kommunist Gennadi Sjuganow, der scharfzüngige ultranationale Politclown Wladimir Schirinowski und Putins früherer Intimus Sergej Mironow sind bereits zum x-ten Mal dabei. Nach der Devise: dabei sein ist alles. Gewinnen wollen sie wohl nicht wirklich.
Alexandra, Dmitri und Sascha von der Diplomatenschmiede entschlossen sich nach den Dumawahlen, sich den Wahlbeobachtern anzuschließen. Prochorow halten sie für den einzigen Kandidaten, der Russland modernisieren könne. Vorbehalte, die in der Öffentlichkeit gegen den Oligarchen laut wurden, auch er sei ein Zählkandidat des Kreml, der die Stimmen der liberaleren und gebildeteren Schichten nur binden solle, halten sie für an den Haaren herbeigezogen. Wahlverletzungen stellten sie nicht fest. „Das ist auch klar“, meint Dmitri. „Eben wurde gerade eine Busladung westlicher Beobachter vorbeigebracht.“
Erhebliche Manipulationen meldeten unterdessen ihre Kollegen aus dem Moskauer Umland. Dort wurden Wähler mit Bussen zu mehreren Wahlbüros gefahren, um mehrfach abzustimmen- Wahlkarussel heisst das in der Sprache der Beobachter.
Aus ihrem Egagement machen die Studenten auch an der Hochschule kein Hehl. „Man hat uns nicht gedroht“, erzählt Alexandra. Früher sei das noch anders gewesen. Unter den Studenten gebe es aber immer noch sehr viele, die der Kremlpropaganda glaubten: der Protest gegen Putin sei eine vom Westen finanzierte Verschwörung.
Die Gottesmutter funktioniert
Putins Webkamera-Initiative belächeln sie leise. Sascha zeigt auf eine der Kameras neben der Gottesmutter: „Sie funktioniert. Aber es gibt Dutzende anderer Methoden, das Ergebnis nachher zu manipulieren.“ Die Frage sei, wer hier mehr diszipliniere, die Kamera oder die Ikone.
In der Akademie für Rechtswissenschaften im Moskauer Zentrum haben die Beobachter der Vereinigung „Für faire Wahlen“ das Stabquartier eingerichtet. Es ist eine Inititaive von Juristen und der Showmasterin Tina Kandelaki, die als Playboy-Playmate auch mal Blöße zeigte. Kandelaki ist eine Parteigängerin Wladimir Putins, die auch in schweren Zeiten zu ihm hält. Das brachte die Initiative in den Geruch, ein Instrument des Kreml zu sein. Kandelaki streitet das jedoch ab: es nütze nichts, wenn Putin mit dem Verdacht auf Wahlfälschung wieder in den Kreml einzöge, sagt sie.
An Dutzenden Applecomputern sitzen Freiwillige, die Zugang zu den 96.000 Wahllokalen haben. 84.000 Beobachter in Wahlbüros schlossen sich der Initiative an. Verstöße schicken sie über SMS an das Zentrum, das sich dann einschaltet.
Das Playmate greift ein
Auch das Playmate greift zum Handy, wenn abenteuerliche Beschwerden eingehen. So wurde die Anfahrt eines Konvois von 300 Bussen aus der nordkaukasischen Republik Dagestan gemeldet, deren Insassen am Wahlkarussel teilnehmen sollten. Daraufhin werden Kuriere auf den Weg geschickt.
Einer der Freiwilligen ist Oleg, er sitzt im Rollstuhl, wartet auf eine SMS und überwacht Kameras. Auf einem Zettel vermerkt er die Verstösse. Die meisten Beschwerden am Nachmittag drehen sich um Mehrfachwähler.
Auch Stimmenraub scheint eine häufige Methode zu sein: der Wähler wird abgewiesen, weil jemand schon in seinem Namen abgestimmt hatte. Den Stimmenklau machte sich auch die ukrainische Feministinnengruppe Femen zu eigen: die Frauen drangen topless mit der Aufschrift „Ich klau für Putin“ in dessen Wahllokal ein und ließen die Urne mitgehen.
Ähnlich viele Vorfälle meldeten auch die unabhängigen Wahlbeobachter der NGO Golos, die nachmittags mehr als 2500 Manipulationsversuche registriert hatten. Die Anhänger Wladimir Putins waren unterdessen zuversichtlich: Die ersten organisierten Pulks tauchten noch vor Schliessung der Wahllokale in der Nähe des Kremls auf – mit Leuchtstäben und Wunderkerzen.
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