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Putin-Gegner schließen sich zusammenDie Ur-Wahl der Opposition

Die russische Oppositionsbewegung hat eine gemeinsame Vertretung gewählt. Blogger Alexej Nawalni erhielt die meisten Stimmen, vor Schachweltmeister Garri Kasparow.

Erhielt die meisten Oppositionsstimmen: Blogger Alexej Nawalni. Bild: dpa

MOSKAU dapd | Russlands Opposition setzt auf ein geschlossenes Auftreten: Mit der Wahl eines 45-köpfigen Gremiums hat die bislang lose organisierte Oppositionsbewegung des Landes eine gemeinsame Vertretung ernannt. Der russische Blogger Alexej Nawalni gewann die Wahl mit mehr als 43.700 Stimmen, gefolgt von Schriftsteller Dmitri Bukow und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, wie der Leiter des Wahlkomitees, Leonid Wolkow, in dem oppositionellen Internet-TV-Sender Doschd (Regen) mitteilte.

Unter den Gewählten waren überdies zahlreiche bekannte Politiker wie der ehemalige Vize-Ministerpräsident Boris Nemzow, Sergej Udalzow und Gennadi Gudkow, dem kürzlich das Abgeordnetenmandat entzogen worden war.

Mehr als 200 Kandidaten hatten sich auf einen Sitz in dem neu gegründeten Koordinationsrat der Opposition beworben. Präsident Wladimir Putin hatte seine Gegner in den vergangenen Monaten mehrfach als Horde von Internetnutzern ohne Programm und Führung kritisiert.

Bei der Wahl ihrer Vertreter setzte die Opposition wie schon bei den seit Ende vergangenen Jahres währenden Anti-Putin-Protesten auf das Internet. Über das Wochenende waren Tausende Russen zur Registrierung für die sogenannte Ur-Wahl der Opposition ins Zentrum Moskaus gekommen. Vor allem ältere Menschen nutzten das Angebot.

Registrierung per Internet

Wer sich selbst mit dem Internet auskannte, konnte die Registrierung selbst von zu Hause aus erledigen. Insgesamt beteiligten sich rund 82.000 Menschen an der Wahl, mehr als die Hälfte von ihnen außerhalb der großen Städte Moskau und St. Petersburg.

Nawalni sagte in einem Interview, die Wahl solle Klarheit schaffen, „welche Leute, welche Methoden und welche Ideologie die stärkste Unterstützung“ habe. Der Wahl war ein dreiwöchiger Zyklus an Debatten unter den Kandidaten vorausgegangen, den Nawalni dominiert hatte. Nawalns Rivalen hatten die Debatten als dessen „Krönung“ kritisiert.

Unterdessen warf ein linker Oppositioneller den russischen Behörden Entführung und Folter vor. Leonid Raswosschajew war nach Angaben seiner Unterstützer vergangene Woche in einem Versteck in der Ukraine aufgegriffen und nach Russland gebracht worden. Dort soll er zwei Tage lang gefoltert worden sein, damit er ein Geständnis ablegt, wie er selbst in einem am Montag in dem Onlineportal lifenews.ru veröffentlichten Videoclip Journalisten zuruft.

Die russische Ermittlungsbehörde teilte derweil in Moskau mit, Raswosschajew habe sich schuldig bekannt, sich mit den linken Oppositionsführern Sergej Udalzow und Konstantin Lebedew verschworen und Geld von einem georgischen Abgeordneten angenommen zu haben.

Die Ermittler wiesen Raswosschajews Vorwürfe zurück. Er muss nun für zwei Monate ins Gefängnis, wie die Agentur RIA Novosti berichtete. Raswosschajew wurde nach Angaben des Wahlkomitees ebenfalls in den neuen Koordinationsrat gewählt.

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10 Kommentare

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  • B
    Benz

    @Hendrix

    Nö, nicht die ganze Opposition besteht aus Extremisten. Gerechtes Russland und sogar die KP vertreten mehrheitlich gemässigt linke Positionen. Aber die ausserparlamentarische Opposition ist tatsächlich weitgehend extremistisch: Der Neoliberale Kasparov z.B. schlug vor, die Unternehmensbesteuerung und das Rentensystem abzuschaffen- das verlangt in DE nicht mal der rechte Flügel der FDP. Nawalny nannte Kaukasier Kakerlaken. Udalzow von der Linken Front sagt offen, dass er den Kommunismus aufbauen wolle. Die Ansichten der russ. Nationalisten ('Russland den Russen') bezeichnen wahrscheinlich nicht mal Sie selbst als gemässigt.

     

    Hingegen gebe ich Ihnen zu Putin recht, man sollte ihn weder dämonisieren noch vergöttern. Dass die ganze russ. Opposition, wie das Kaninchen auf die Schlange, immer nur auf Putin fixiert ist, halte ich für falsch, da gehen die Sachthemen unter.

    Ihre Vorwürfe an Putin sind aus der Luft gegriffen, z.B. 'wirtschaftlich eine Bananenrepublik': Seit Putins Amtsantritt hat sich das russ. BIP mehr als verdoppelt.

  • H
    Hendrix

    Benz, die alten Kamellen aus der Prawda. Opposition besteht nur aus Extremisten. Das Argument aller totalitären Regime.

     

    Was Putin betrifft, so sollte man ihn nicht dämonisieren. Im Gegensatz zu Ihnen verzichte ich gern auf extreme Vergleiche. Putin ist kein Stalin oder Hitler, gleich gar kein Breivik oder Tschikatilo. Einfach ein kleiner KGB-Spion, der einen lausigen Job macht. Entsprechend sieht das Land nach über zehn Jahren aus: Politisch wieder im Mittelalter, wirtschaftlich eine Banenrepublik, weltpolitisch bedeutungslos. Ein weiter so nicht mehr lange möglich.

  • B
    Benz

    @Kai

    Ich kann Ihnen nur zustimmen. Dass das Häuflein der ausserparlamentarischen Opposition nur aus

     

    a)Kommunisten

    b)Nationalisten

    c)Neoliberalen

    d)Rechtsextremen

     

    besteht, schein hierzulande niemanden zu stören. Umso bizarrer sind vor diesem Hintergrund die ständigen Vorwürfe an Putin, er sei

     

    a)Sowjetnostalgiker

    b)gefährlicher Nationalist

    c)kümmere sich nicht um die Armen

    d)schüre den Ausländerhass.

     

    Die üblichen Doppelstandards eben. Wer Putin diese Vorwürfe macht, gleichzeitig aber die ausserparlamentarische Opposition bejubelt, ist nicht besonders glaubwürdig.

  • K
    Kai

    Eine Opposition, die sich, auf jeder grösseren Veranstaltung erkennbar, zu großen Teilen aus Betonkommunisten und Zarenflaggen schwingenden Nazis zusammensetzt, wählt einen öffentlich zum Mord an Minderheiten aufrufenden Rechtsradikalen (in der westlichen Presse als "Blogger" verniedlicht) zu ihrem Vertreter... wie überraschend.

    Ist es egtl wirklich zuviel verlangt wenn sich die zuständigen Journalistenca 2min lang informieren, wen sie als Retter der Demokratie hochleben lassen? Oder ist schlicht jedes Mittel recht, wenn es gegen den großen Superfeind Putin geht. Schliesslich vermasselt der erst unseren demokratisch gesinnten Großkonzernen den von Jelzin angestossenen Ausverkauf des Landes, sondern neuerdings der presse auch noch den Spaß am nächsten Nato-Überfall auf souveräne Staaten...

  • B
    Benz

    @Denis

    ''Putin hat Angst'' Vor wem denn, doch nicht etwa vor dem Koordinationsrat? Also die Vorgängerorganisationen Komitee 2008, Anderes Russland und Solidarnost sind alle sang- und klanglos untergegangen, heute hört man nichts mehr von diesen Vereinen. Können Sie mir sagen, warum Putin nun vom Koordinationsrat Angst haben sollte?

  • B
    Benz

    @Hendrix

    Schön, dass Sie unterdessen einsehen, dass die russ. Regierung mitnichten gegen die Kommunisten vorgeht. Bei den Präsidentschaftswahlen sprachen Sie noch davon, Putin habe den Kommunisten Stimmen geklaut.

     

    Zum Vorgehen gegen die ausserparlamentarische Opposition: Wer Gesetze bricht, bekommt Aerger mit der Polizei, das ist in einem Rechtsstaat so üblich. Wussten Sie das nicht? War in DE bei Occupy Frankfurt auch nicht anders. Und die Atomtransporte und die Stuttgarter Bahnhofsdemos, wo es zu Verhaftungen und Verurteilungen kam, haben Sie die vergessen?

     

    ''Die staatlich gelenkten Medien hetzen jeden Tag gegen Oppositionelle, ihr Privatleben wird vom Geheimdienst ausgespäht''

    Können Sie auch nur ein Beispiel nennen von

    a) Hetze

    b) ausgespähtem Privatleben?

    Ich muss Sie, wie schon so oft, sehr darum bitten Ihre Vorbringen mit Fakten zu unterlegen und nicht Phrasen zu dreschen.

     

    ''Die ausserparlamentarische Opposition hat gar keine Moglichkeit sich zu organisieren.''

    Ich habe gedacht, die hätten sich gerade eben in einem Koordinationsrat organisiert. Oder sehen Sie das anders?

     

    ''Der Sturz des Regimes''

    Na, dann warte ich mal gespannt auf diesen Sturz. Um zu stürzen, muss der neue Koordinationsrat aber etwas mehr drauf haben als seine Vorgänger Komitee 2008, Anderes Russland und Solidarnost. Von denen hört man nämlich heute rein gar nichts mehr, und das 'Regime' haben sie auch nicht gestürzt.

  • D
    Denis

    Putin hat Angst. Er schlägt um sich. Er hat nicht die Intelligenz, um die Zeichen der Zeit zu erkennen, daher klammert er sich wie ein Ertrinkender an die alten Geheimdienstmethoden, das ist das einzige, was er jemals gelernt hat. Wen er dabei mit in den Abgrund zieht, ist ihm egal. Es fehlt ihm jedes Verantwortungsgefühl für Russlands Zukunft.

  • H
    Hendrix

    Benz, dass die Kommunisten eine echte Anhängerschaft haben ist unbestritten. Da stimme ich Ihnen zu. Auch geht das Regime nicht gegen Sie vor, da sie keine wirkliche Opposition darstellen. Aber selbst wenn: Es gibt genügend, gerade ältere, Leute, die den Kommunismus nostalgisch verklären - menschlich verständlich.

     

    Was hingegen die wirkliche Opposition betrifft: Wie jedes autoritäre Regime geht das russische mit aller Härte gegen sie vor. Die staatlich gelenkten Medien hetzen jeden Tag gegen Oppositionelle, ihr Privatleben wird vom Geheimdienst ausgespäht und jedes Detail an die Staatsmedien weitergegeben. Verhaftungen, Denunziationen, das volle Programm. Die Opposition hat gar keine Moglichkeit sich zu organisieren.

     

    Der Sturz des Regimes wird auch nicht durch die Opposition erfolgen, sondern durch die Strasse oder interne Revolten. In Tunesien war es der Selbstmord eines Obsthändlers, in Rumänien die Ausweisung eines Pastors, in Polen Aussperrungen von Arbeitern bzw. Erhöhungen von Nahrungsmittelpreisen, im Iran Wahlbetrug usw. Dennoch: Russland ist nicht die Sowjetunion, und ein bisschen Opposition wird geduldet. Die Opposition tut gut daran, wenigstens diese kleinen Freiräume zu nutzen. Die Wahlen zum Koordinationsrat waren hierzu ein sinnvoller Schritt.

  • B
    Benz

    Die parlamentarische Opposition, in erster Linie die Kommunisten, ist landesweit und stabil organisiert: Die KP ist in allen Regionen RUs vertreten, ist die grösste Partei, hat in jedem Dorf eine Ortspartei.

     

    Hingegen ist die ausserparlamentarische Opposition nur ein loser Haufen. In regelmässigen Abständen kündigen ihre Exponenten gross an, jetzt eine schlagkräftige Organisation zu schaffen. In der Vergangenheit wurden u.a. Solidarnost, Russland ohne Putin, Komite 2008, Anderes Russland, Vereinigte Bürgerfront gegründet. Alle diese Organisationen sind wenige Wochen nach ihren pompösen Gründung wieder in der Versenkung verschwunden. Bei neuesten Verein, dem sog. Koordinationsrat, wird das nicht anders sein.

  • HH
    Hugo Hurtig

    Junge Künstlerinnen sitzen im Straflager, während sich die Rektorinnen und Rektoren der europäischen Musikhochschulen - als Verantwortliche für Musikstudien an den europäischen Hochschulen - sich Anfang November in St. Petersburg gemütlich zu einem Austausch treffen.