Puccini-Oper in Bremen: Ein bisschen Kitsch muss sein
Für ihre erste Opernregie hat Alize Zandwijks sich Puccinis „La Bohème“ ausgesucht. Deren Sozialromantik transferiert sie in Bremens Gegenwart.

Ganz blass hockt sie da, und singt noch ein bisschen, und zwar sooo schön! Aber dann streckt der Tod auch Adèle Lorenzi als Lucia, die alle nur Mimi nennen, auf die dünne Matratze nieder. Die füllt in Bremen fast die gesamte Mansarde aus. In der passiert halt, auch wenn’s zwischendurch noch Outdoor-Szenen mit Kinderchor und großherziger Prostituierter gibt, alles, was für die Oper „La Bohème“ wichtig ist. Dort künstlert eine Künstler-WG erfolglos vor sich hin, dort verliebt sich Rodolfo in die Zufallsbekanntschaft Lucia, die, wie gesagt, immer nur Mimi genannt wird. Und dort haucht die Näherin dann eben auch das Leben aus, in c-Moll, wobei nicht nur die Celli mit ihr schluchzen.
Auch räumlich soll das in Bremen nahe gehen: Durch klappbare Metallgeländer abgetrennt, hat Ausstatter Theun Mosk die Dachkammer ins Publikum reinragen lassen. Gerade im frostig-kargen Industrial-Look der Bühne hat der Herzschmerz leichtes Spiel, wenn er den Raum besetzen soll.
Ein bisschen Kitsch muss sein: Wer sich auf diese Grundwahrheit besinnt, der wird auch keinen Anstoß daran nehmen, dass in Bremen Giaccomo Puccinis „La Bohème“ pünktlich zum 100. Todestag auf den Opernspielplan drängt, ein Werk, in dem sich alle wiederfinden können. „Jeder von uns“, so hat es ja einst sein Trauerredner formuliert – und wer aus dem Opernpublikum würde ihm da nicht beipflichten? – „hat Momente von Puccinis Musik erlebt, jeder von uns war bewegt von den unvergesslichen Protagonisten, die Puccini auf die Bühne brachte, die er mit dem Schwung seiner Musik zum Leben erweckte.“
Hier geht es nicht um Kritik: „Tutto il popolo si racoglie in quest’ora“, hieß es ja dann auch in Benito Mussolinis Nekrolog im italienischen Parlament weiter, also dass sich in dieser Stunde das ganze Volk versammle, weil es sich durch diese Kunst gemeint fühlt. Es gilt in dieser unsterblichen Musik aufzugehen und zu verschmelzen zu einer Phalanx des Guten.
Oper „La Bohème“, Theater Bremen, Großes Haus, Goetheplatz nächste Aufführunge am 23. 12., 19 Uhr, 25. 12., 18 Uhr sowie 29.12., 15.30 Uhr
Ganz in diesem Sinne verlässt sich auch Regisseurin Alize Zandwijk für die Bremer Aufführung der Oper auf die mitreißende Dynamik der Partitur, den zarten Schmelz von Oliver Sewells Tenor und die strahlende Melancholie von Adèle Lorenzis Sopran. Sowie auf das soziale Gewissen der Theaterbesucher*innen, die aufgefordert sind, Nudel- oder Reispakete für die private Sozial-Organisation der Tafel mitzubringen. Diese sind am Eingang abzugeben und bekommen dann, bevor sie zur Armenspeisung abtransportiert werden, auf der Bühne einen Auftritt: Herrlich rührselig ist das.
Es wirkt wie ein das schlechte Gewissen des Publikums wohltuend balsamierender Versuch, die nur auf der Bühne wirksame Sozialromantik Puccinis in die Gegenwart zu transferieren. Wenn Oper den Skandal Armut so radikal entpolitisiert zu einer Angelegenheit macht, die eigentlich nur Gefühle angeht, dann kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Dann ist alles bereits schiefgegangen, inszenatorisch. Denn die Musik: da kein Problem, die lässt sich genießen.
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