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Publizist Roger Willemsen ist totDer Mann des Bildungsfernsehens

Er war der belesenste TV-Moderator der letzten 20 Jahre, ein Idol des Bildungsbürgertums. Am Sonntag ist Roger Willemsen gestorben.

Ein Mann der elaborierten Auseinandersetzung auf beinahe allen Quatschsofas der Republik: Roger Willemsen, hier auf einem Bild aus dem Jahr 2009. Foto: dpa

BERLIN taz | Die taz kam ja auch in den, so muss man es neidlos sagen, Genuss seiner wirklich sehr virtuosen Art, sehr Hässliches sehr schön formulieren zu können. Als die Kolleg*innen der sonntaz vor gut sechs Jahren Roger Willemsen fragten, ob er sich am „Streit der Woche“ mit einer kurzen Einlassung beteiligen würde, zierte er sich nicht lange – und das Zieren war ihm öfters ja angelegen –, denn das Objekt, dem er einige garstige Sätze widmen sollte, lag ihm schon lange wie ein mieser Stein auf der Seele.

So schrieb er denn zur Show „Germany‘s Next Top-Model“ und ihrer Präzeptorin Heidi Klum:

„Eine unschöne Frau mit laubgesägtem Gouvernanten-Profil bringt kleine Mädchen zum Weinen, indem sie ihre orthodoxe, hochgerüstete Belanglosigkeit zum Maßstab humaner Seinserfüllung hochschwindelt, über ‚Persönlichkeit‘ redet, sich aber kaum mehr erinnern kann, was das ist, und sollte diese je zum Vorschein kommen, sie mit Rauswurf bestraft. Der Exzess der Nichtigkeit aber erreicht seinen Höhepunkt, wo Heidi Nazionale mit Knallchargen-Pathos und einer Pause, in der man die Leere ihres Kopfes wabern hört, ihre gestrenge ‚Entscheidung‘ mitteilt, und wertes von unwertem Leben scheidet. Da möchte man dann elegant und stilsicher, wie der Dichter sagt, sechs Sorten Scheiße aus ihr rausprügeln – wenn es bloß nicht so frauenfeindlich wäre.“

Die Passage sei hier in Gänze zitiert, kein Wort ist überflüssig – auch wenn die leicht dünkelhafte Allüre, die dem Mann des Bildungsbürgertums ja immer eigen war, im Verhältnis zur Trashkultur immer etwas zu mokant, zu selbstsicher, zu gewiss in eigener (Klassen-)Sache wirkte.

Es ist traurig und wahr zugleich, denn Roger Willemsen, der belesenste unter allen TV-Figuren der vergangenen 20 Jahre, der Mann der Literatur, des Talks und der elaborierten Auseinandersetzung auf beinahe allen Quatschsofas der Republik, kann bei der nächsten Staffel der Heidi-Klum-Dressur- und Zuchtshow nicht mehr zugucken – lebte er aber, dürfte er ein wenig seufzen, denn nichts scheint sich an dem Befund zu dieser dunklen Meisterin der Körperformatierung geändert zu haben. Willemsen, erschütternd junge 60 Jahre alt erst, ist gestern an den Folgen seiner Krebserkrankung gestorben.

Niemand hatte so interessante Gäste

Er kam in die deutsche Öffentlichkeit zufällig – der Autor des irgendwie Marxistische-Gruppe-Sound-geprägten Buches „Kopf oder Adler“ (1990), ein jugendliches Statement gegen die entsetzliche Welt der deutschen Wendezeit, gegen miese Kleinbürger und geschmacklose Geilheit auf die D-Mark, auf schmutzige Polithälse und schmierige Politiken war nicht die erste Wahl, als der Privatsender „Premiere“ 1991 die Talkshow „0137“ ins Leben rief.

Willemsen freilich, ein Mann mit Interesse für Themen wie die Abruzzen, Audrey Hepburn, Robert Musil, Giacomo Casanova, nutzte diesen steten Zweiertalk, gehalten in einem kühlen, fast undekorierten Studio zu Sternstunden der Sprech- und Fragekunst. Niemand hatte so illustre, interessante Gäste: Exgefangene der RAF, Jassir Arafat, einen entflohenen Bankräuber, die Frau vom „Frühstück bei Tiffany“.

Klar, dafür bekam er die einschlägigen Branchenpreise. Und schließlich die Gunst des ZDF, bei dem er seinen Talk fortsetzte. Seine Gäste waren durch die Bank keine unterschichtskompatiblen Zeitgenoss*innen, sondern Leute, die auch den abituriellen Zirkeln der Republik mundeten. Willemsen war ein Idol der bildungsbürgerlichen Kreise, er schaffte es, diesen das Gefühl zu geben, Fernsehen könne ein Medium des gehobenen Anspruchs und des guten Geschmacks sein.

Viel Lob, auch falsches

Dem Fernsehen war er, ob beim schweizerischen SRG oder dem WDR für eine Literatursendung, immer treu. In den vergangenen Jahren war Willemsen mehr schreibend tätig. Erhielt auch viel Lob, gelegentlich auch falsches. 2006 veröffentliche er seine „Afghanische Reise“, 2009 „Bangkok Noir“, vor vier Jahren „Momentum“ und 2013 „Es war einmal oder nicht – Afghanische Kinder und ihre Welt“.

Bücher, die allesamt die Horizonte eröffneten, die er noch in „Kopf oder Adler“ verspottete: Geschrieben jetzt für Menschen, für die Weltläufigkeit ein Must ist und Provinzialität ein Graus, solche also, die auf den Treibstoff der entgrenzten Welt, den Modus der Kritik an allem, viel gaben.

Willemsen gab all seinen Leser*innen – vor allem solchen weiblichen Geschlechts – das Gefühl, sie zu verstehen, ihre Sorgen, Nöte und helfenden Bedürfnisse. Das fragwürdige Buch „Das Hohe Haus: Ein Jahr im Parlament“ enthüllte freilich eine immer leicht übersehene Seite dieses Stilisten und Künstlers in allen Deutungsdisziplinen. Sein Ressentiment verfahrenstechnischen Abläufen gegenüber. Im Bundestag als oberflächelnder Beobachter wollte er die große Politoperette erkennen – und ward enttäuscht, weil er das Bohren dicker Bretter für abstoßend hielt.

Willemsen wusste viel zu lesen. Und zu schenken. Der taz eben diese kleine feine Sottise gegen den Wahn, dass nur weibliche Hungerhaken okay seien. Dass er deren erbarmungsloser Zuchtmeisterin tüchtig einen überbügelte, wird auf ewig bleiben.

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11 Kommentare

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  • Sehr empfehlenswert und vor dem Hintergrund seines Todes stimmt es sehr nachdenklich:

    http://www.ndr.de/ndrkultur/Roger-Willemsen-im-Gespraech,audio253094.html

     

    "Roger Willemsen im Gespräch

    NDR Kultur - 15.08.2015 18:00 Uhr Autor/in: Tschechne, Martin

     

    Zwischen Klassik und Jazz pendelt seine Liebe für die Musik, über 50 Bücher hat er veröffentlicht. Nun wird Roger Willemsen 60 Jahre alt und spricht mit Martin Tschechne."

  • "...Roger Willemsen, der belesenste unter allen TV-Figuren"

     

    Sehr traurig, dass er gestorben ist, nur vielleicht war er nicht der belesenste, sondern einer der belesensten, der belsenste war doch der Reich-Ranitzki. Aber wollen wir nicht so kleinig sein, der Kommentar über Heidi ist oberste Güte. Schade, schade um den guten Mann. Ich bin traurig.

  • "Hungerhaken", ja?

     

    Willemsen beschimpft Heidi Klum - gut so. Dabei wäre es ihm niemals in den Sinn gekommen, die Mädchen, die sich ihr ausliefern, zu beleidigen.

     

    Das nennt man Takt. Schon hier tut sich ein Graben auf zwischen Roger Willemsen und "gewöhnlichen" Journalisten. Sicherlich ein Verdienst von Jan Feddersen, dies mit seinem Nachruf deutlich gemacht zu haben.

  • Danke! Sehr schöner Nachruf.

  • »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!«

    Die Weltgeschichte der Lüge

    Ein Dialog zwischen Dieter Hildebrandt u. Roger Willemsen -

    Jau - druckfrisch - n.F. 2016 ! ~>

     

    Da! - im ernst ihr beiden -

    Tät ich gern spinkse - leis

    Als a klaa Mäusche - weis

    Dess - wär scho schee;)

     

    Was ein HolaDuo - du Hallo;)!

    Petrus schrill die Ohren klingeln.

    Wie ihrs denn erdElaborierten -

    Den - downstairs anStudierten -

    Mal wieder - & so glatt zum Ringeln -

    Gerne auch im Krückentanz - &

    Wie dann - die Wanz - tanzkann -

    Ihrs - Deftig Heftig & Direktemang

    In euer beider Überschwang -

    So richtig - ehms habts Reingereibt -

    Dassso - keins der Augen trocken bleibt.

    Das - klar alle ahne ~> Erste Sahne!

     

    Dank is - Wie ne blaue Meise;)

    Empfehle mich sodenn - ganz leise ~>

    Massel tov & Gute Reise.

  • Das schmerzt mich sehr. An Roger Willemsen liebte ich vor allem eines, das hier leider völlig unerwähnt blieb - sein Gespür für gute Musik. Als fernsehloser Radiohörer genoß ich all die wunderbaren Sendungen, in denen er wortgewandt über Musik, Musiker und das ganze Drumherum philosophierte, um sodann als Beweis und Belohnung für den Hörer und sich selbst natürlich auch, ein gutes Stück Musik aufzulegen - meistens Jazz, manchmal Klassik, oder sonstwas. Er fehlte mir diesmal zu Silvester schon, wo er mich gewöhnlich zusammen mit Anke Engelke auf WDR5 immer in das neue Jahr begleitete. Ich werde den Roger sehr vermissen. R.I.P.

  • Dem Willemsen habe ich immer gerne zugehört. Wieder ein Guter der vor der Zeit abtritt.

  • 3G
    31955 (Profil gelöscht)

    Fast jede Woche starb stirbt ein geliebter Künstler von Bowie bis Willemsen, es will verdammt keine Ende nehmen. Und auch wenn ich mich noch so sehr zusammenreiße, eine tiefe Trauer überwältigt mich. David wird dich schon begrüßen, vielleicht mit einem lockeren „Let´s dance“, du, ein Meister des geschliffenen Wortes. Wie ein Nuckel hing ich an deiner zartbitteren süß-sauren Zunge, konnte nie genug bekommen von deinen Geistesblitzen.

     

    Die Eitelkeit, die größte aller Dummheiten, sie war dir Fremd. Täglich wehrtest du sie ab, auch wenn sie noch so verführerisch und anhänglich daherkam. Du hast, wie nur wenige, konsequent dein Ding gemacht, du Blaupause meines Denkens. „Schöne Worte sind nicht wahr, wahre Worte sind nicht schön“ heißt es, aber bei dir waren auch irgendwie die wahren Worte schön und genau das war dein ganz besonderes Talent. Macht´s gut, du und Ziggy Stardust. Eine unendlich lange Space Oddity der ganz besonderen ART liegt vor euch. Wir schauen immer auf euch rauf, mit Respekt und Ehrfurcht. Versprochen.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Als Wenigfernseher stelle ich mit dem heutigen Tag fest, dass ich scheint's doch was versäumt habe...

  • Irgendwie habe ich das Gefühl, dass gerade ganz schön viele interessante und grundsätzlich "gute" Menschen, insbesondere Künstler, diese Erde vorzeitig verlassen (müssen).

     

    Und langsam kommt ja auch die Generation Babyboomer in ein gefährliches Alter.

     

    Wurden die älteren Generationen vielleicht älter? Obwohl sie den 2WK miterlebt haben?

  • Roger, machet jut!