Public Viewing in Berlin: Das verträgt die Fußballseele nicht
Kneipen und Biergärten bereiten sich auf die Fußball-Europameisterschaft vor. Ein Fieber ist nicht zu spüren – nicht nur wegen der Abstandsregeln.
Gegenüber vom Slumberland auf dem Winterfeldplatz befindet sich das türkische Lokal „Köfte, Döner und Moccas“. Neu gelieferte Stühle für die Terrasse warten darauf, ausgepackt zu werden. Auch die Monitore an der Fassade, vor denen sich bei Fußballmeisterschaften immer Gäste und Passanten stapeln, fehlen. Kommt alles noch, sagt die Bedienung.
Am Freitag beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Ein Fieber, wie es bei WMs oder EMs früher manchmal spürbar war, liegt aber nicht in der Luft. Das Public Viewing in den Kneipen ist durch die Abstands- und Hygieneregeln erschwert. Auch über die Sonderrolle, die die Uefa in Coronazeiten für sich und die Austragung der Spiele reklamiert, sind manche genervt. Und dann ist da noch die Tatsache, dass ein auf 24 Teams inflationär erweitertes Turnier etliche Fans kaum noch interessiert. Nicht zu vergessen: Die deutsche Nationalmannschaft ist zurzeit grottenschlecht.
Und trotzdem ist davon auszugehen, dass die Biergärten und Kneipen, wo es Public Viewing gibt, gut besucht sein werden. Schon deshalb, weil das so lange nicht mehr möglich war.
Schlechte Chancen
Frisch gefönt und gut erholt steht Fred Eichhorn vor seiner Fußballkneipe in der Potsdamer Straße. Der lange Lockdown hat dem Wirt und Kornliebhaber, der so genannt wird wie sein Pub „Puschels“, gesundheitlich offenbar gut getan. 40 statt 80 Gäste dürfen wegen der Anbstandsregeln fortan nur in den Innenbereich. Im Puschels gibt es alle Spiele über Sky, längst nicht alle werden von den öffentlich-rechtlichen Sendern gezeigt. Puschels Prognose: „Deutschland wird in der Vorrunde rausfliegen.“
„Die spielen so schlecht, das verträgt die Fußballseele nicht“, wettert auch Slumberland-Wirt Klinger und schiebt eine Publikumsbeschimpfung hinterher. Immer mehr Gäste seien in den letzten Jahren mit angemalten Deutschland-Fähnchen auf den Backen gekommen, würden Tee oder Cola ordern. „Das trifft einen ins Herz, zum Fußball gehört Bier“, sagt Klinger.
Dann erzählt er, dass selbst einige seiner Stammkunden manchmal rüber zum „Döner und Moccas“ schleichen, um dort Fußball zu gucken. Das „Moccas“ habe Satellitenempfang, sei bei der Übetragung der Spiele deshalb immer ein paar Sekunden voraus. „Die Zuschauer schreien immer eher.“
Das Slumberland hat nur Antennenempfang. In der Halbzeit-Pause kämen die Leute aber zurück. „Das Bier ist bei mir kälter,“ feixt Klinger. Das sei sein Heimvorteil.
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