: Psychotherapeuten mit Problemen
Mit über 3.000 nichtärztlichen Seelenheilern hat Berlin bundesweit die höchste Therapeutendichte. Ein Teil hat jetzt aber Schwierigkeiten, die Anforderungen des neuen Psychotherapeuten-Gesetzes zu erfüllen ■ Von Sabine am Orde
Erschöpft läßt sich Cordula Zimmermann in ihren beigen Sessel fallen. „Vier Stunden war ich jetzt auf dieser Approbationsbehörde, 160 Leute haben da gewartet“, sagt sie entnervt. Zimmermann arbeitet seit 18 Jahren in einer Gemeinschaftspraxis in der Moabiter Turmstraße als Psychotherapeutin, genauer gesagt: als Gestalttherapeutin. Und genau das stellt sie zum Jahreswechsel vor einige Probleme.
Seit zum 1. Januar das Psychotherapeuten-Gesetz (PsychThG) in Kraft getreten ist, ist ihre Berufsbezeichnung geschützt. Also darf sich Zimmermann nur noch Psychotherapeutin nennen, wenn sie zuvor eine staatliche Zulassung, die sogenannte Approbation, erhält. Knapp 3.000 Anträge dafür liegen der Gesundheitsverwaltung inzwischen vor. Wie viele nichtärztliche Psychotherapeuten es insgesamt in Berlin gibt, weiß man dort nicht. „Aber es sind mehr als 3.000“, schätzt Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU). Wie viele davon eine Approbation bekommen werden, weiß Hübner noch nicht. Zimmermann schätzt, daß 800 bis 900 ihrer KollegInnen keine Chance haben.
Will Zimmermann künftig mit den Krankenkassen abrechnen, braucht sie zudem eine Kassenzulassung. Denn mit dem Gesetz werden die PsychotherapeutInnen den ÄrztInnen gleichgestellt. Sie werden in die Kassenärztliche Vereinigung (KV) integriert und dürfen dann direkt mit den Krankenkassen abrechnen. Das ist zwar viel einfacher als das sogenannte Kostenerstattungsverfahren, nachdem Zimmermann – wie insgesamt etwa 1.000 SeelenheilerInnen in Berlin – bisher abrechnete. Doch die Zulassungsbeschränkungen sind hart.
Einer der Knackpunkte dabei: Die TherapeutInnen müssen mindestens 140 Stunden theoretischer Ausbildung in einem „wissenschaflich anerkannten Verfahren“ vorweisen. Was wissenschaftlich anerkannt ist, ist freilich umstritten. Nach den geltenden Regeln gehören die Psychoanalyse, die verhaltens- und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie zu den sogenannten Richtlinienverfahren. Gesundheitssenatorin Hübner zählt für die Approbation noch die weitverbreitete Gesprächstherapie hinzu. Doch die Gestalttherapie sowie die Familientherapie und das Psychodrama sind bislang sowohl bei der Approbation als auch bei der Kassenzulassung außen vor. Um diese Verfahren wird nun in einem wissenschaftlichen Beirat auf Bundesebene gerungen, der festlegen soll, welche Verfahren wissenschaftlich nachweisbar erfolgreich sind. Der KV liegen bislang 2.200 Anträge auf Kassenzulassung vor.
„Trotz Studium und Fortbildungen hatte ich in den Richtlinienverfahren nicht genügend Theorie“, sagt Zimmermann und erzählt dann lachend, wie sie stundenlang im Keller ihr Studienbuch gesucht hat. „Das habe ich ja 20 Jahre lang nicht gebraucht“, sagt sie. Um genügend Theoriestunden vorweisen zu können, ist Zimmermann – wie viele PsychotherapeutInnen im vergangenen Jahr – für zwei Wochen „zum Nachqualifizieren“ zu einem Kurs ins Allgäu gereist. Um die erforderlichen Praxisstunden nachweisen zu können, hat sie außerdem „uralte“ Patientenakten gewälzt, mit den Krankenkassen über Nachweise verhandelt und „Leute ausfindig gemacht, die ich vor neun Jahren therapiert habe“: „Es ist verrückt, was man da alles nachweisen muß.“ Doch Zimmermann hat Glück: Mit ihrer Nachqualifikation wird sie beide Hürden nehmen. „Andere werden ihren Beruf verlieren oder zumindest nur noch privat abrechnen können“, sagt sie. „Kein Wunder also, daß viele der Kollegen panisch geworden sind.“
Klaus Gerbis hat keinen Grund zur Panik. Der Verhaltenstherapeut, der am Bayerischen Platz in Wilmersdorf praktiziert, hat bereits als sogenannter Kassentherapeut mit den Kassen abgerechnet. Er hat also eine Ausbildung nach den anerkannten Richtlinien und hat seine PatientInnen bislang im sogenannten Delegationsverfahren direkt von ÄrztInnen übernommen, was viel unkomplizierter als das Kostenerstattungsverfahren ist. In Berlin gibt es etwa 1.100 solcher TherapeutInnen. Sie haben durch diese Tätigkeit bereits einen Großteil der notwendigen Nachweise für die Approbation und die Kassenzulassung erbracht.
Für die KollegInnen, die jetzt um ihre Zukunft fürchten, hat Gerbis wenig Verständnis: „Die Richtlinien, in denen die drei anerkannten Verfahren festgeschrieben sind, sind doch seit vielen Jahren bekannt“, sagt er. „Wer etwas anderes gemacht hat, wußte also, worauf er sich eingelassen hat.“ Gerbis selbst hat eine Zusatzausbildung in Gesprächstherapie, doch über die Kasse kann er nur noch verhaltenstherapeutische Behandlungen abrechnen. Außerdem hält er die unterschiedlichen Ausbildungen schlicht nicht für gleichwertig: „Bei den Richtlinienverfahren gibt es klar geregelte und qualitativ hochwertige Ausbildungsrichtlinien und zudem ein klinisches Jahr.“
Gerbis und Zimmermann stehen nicht nur, was ihren eigenen Beruf angeht, auf verschiedenen Seiten der Barrikade. Als VertreterInnen für die Vereinigung der Kassentherapeuten einer- und der Deutschen Vereinigung für Gestalttherapie andererseits sitzen sie beide neben VertreterInnen der Krankenkassen und der Ärzte im sogenannten Zulassungsausschuß. Dieser wird ab Anfang des Jahres darüber entscheiden, wer in Berlin eine Kassenzulassung erhält – und da gehen die Vorstellungen auseinander.
Die Beschränkung auf die sogenannten Richtlinienverfahren hält Zimmermann – als Gestalttherapeutin – natürlich für falsch. Ihrer Ansicht nach hat das Gesetz eine Chance verpaßt und „einen längst überholten Zustand festgeschrieben“. Der Grund: Die ärztlichen Therapeuten und jene, die bereits in sogenannten Delegationsverfahren gearbeitet haben, hätten ihre Pfründen erfolgreich verteidigt. Gerbis dagegen glaubt, daß es mit den drei Richtlinienverfahren ausreichend Therapiemöglichkeiten gibt: „Andere Richtungen würden das Leistungsspektrum nicht wesentlich erweitern.“
Beide aber machen kein Hehl daraus, daß es bei all den theoretischen Debatten auch ums schnöde Geld geht. „In Berlin wird es wahnsinnig eng“, sagt Gerbis. Denn zählt man ärztliche und nichtärztliche Seelenheiler zusammen, hat Berlin Deutschlands höchste Therapeutendichte. Während im Bundesdurchschnitt nur zwölf TherapeutInnen auf 100.000 EinwohnerInnen kommen, sind es in Berlin nach Angaben der KV 50 TherapeutInnen. Sie alle werden sich künftig mit den Ärzten und miteinander um die Kassenhonorare streiten.
Für „überversorgt“ hält auch Gesundheitssenatorion Hübner den Berliner Psychotherapeutenmarkt. Dies gelte besonders für die Westbezirke Wilmersdorf, Charlottenburg, Schöneberg, Zehlendorf und Steglitz. Ab April soll deshalb auch die Zulassung als Kassentherapeut von einer Bedarfsplanung abhängig sein. Wie diese genau aussehen wird, ist noch nicht klar. Vermutlich werden sich TherapeutInnen dann aber im Westteil der Stadt kaum noch niederlassen können.
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