piwik no script img

Psychologin über Samenspender-Kinder„Der Trend geht zur offenen Spende“

Die Psychologin Doris Wallraff begrüßt das Urteil des BGH, nach dem auch Minderjährige die Identität ihres Samenspenders erfahren dürfen.

Seins oder nicht seins? Bild: dpa
Simone Schmollack
Interview von Simone Schmollack

taz: Frau Wallraff, der Bundesgerichtshof (BGH) hat kürzlich entschieden, dass minderjährige Kinder, die durch Samenspende entstanden sind, erfahren dürfen, wer ihr biologischer Vater ist. Wie finden Sie das?

Doris Wallraff: Ich begrüße das Urteil. Es stärkt die Rechte der Spenderkinder, schon frühzeitig erfahren zu können, von wem sie zur Hälfte abstammen.

Männer spenden in der Regel anonym. Bedeutet das Urteil das Aus für die Samenspende?

Nein. Sicher wird es Männer geben, die jetzt nicht mehr spenden. Bereits 2013 hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden, dass Spenderkinder die Identität des biologischen Vaters erfahren dürfen. Die absolute Anonymität für Spender war damit schon aufgehoben. Das aktuelle BGH-Urteil sagt nur, dass das auch Minderjährige wissen dürfen.

Warum ist das wichtig?

Jeder Mensch muss das Recht haben zu erfahren, von wem er abstammt. Samenspender können für Spenderkinder wichtig werden. Nicht in der Rolle als Vater – die meisten Betroffenen sagen, sie haben einen anderen, ihren sozialen Vater –, sondern als wichtige Person, ohne die sie nicht entstanden wären. Etwas über den Spender zu erfahren kann Teenagern bei der Identitätsfindung helfen, es kann eine Leerstelle ausfüllen. Klassische Fragen in der Pubertät sind: Wer bin ich? Woher komme ich?

Viele Spenderkinder wissen nicht, dass sie einen anderen biologischen Vater haben.

Die Eltern halten das geheim, weil sie Nachteile für das Kind und ihre eigene Stigmatisierung fürchten.

Im Interview: Doris Wallraff

43, ist Diplom-Psychologin in Nürnberg und Autorin des Buches „Kinderwunsch“. Seit vielen Jahren begleitet sie Paare mit unerfülltem Kinderwunsch.

Was passiert in solchen Fällen?

Bei einer Samenspende ist für die Öffentlichkeit klar: Der Mann ist unfruchtbar. Dafür schämen sich viele Paare. Außerdem ist diese Form der Familiengründung noch immer tabuisiert. So ist die katholische Kirche explizit gegen Samenspende. Es gibt aber auch Katholiken mit unerfülltem Kinderwunsch. Manche setzen sich über die Vorgaben ihrer Kirche hinweg und nutzen eine Samenspende. Dann plagen sie häufig moralische Zweifel und die Angst, öffentlich am Pranger zu stehen. Auch die Kinder könnten dem Gespött der Leute ausgesetzt sein.

Was sagen die Samenbanken zu dem BGH-Urteil?

Manche Samenbanken empfehlen noch immer die Geheimhaltung. Der Trend geht aber zur offenen Samenspende. Bei der Erlanger Samenbank, mit der ich kooperiere, wissen alle Spender, dass ihre Anonymität mit der Volljährigkeit der Spenderkinder endet.

Müssen Spender jetzt Angst haben, dass eines Tages Kinder vor ihrer Tür stehen, die sie so gar nicht wollten.

Nicht ohne Vorwarnung, aber es kann passieren. Spendern sollten keine Nachteile daraus erwachsen, weil sie fremden Menschen zu einem Kind verholfen haben.

Können die Kinder im Nachhinein Unterhalt einklagen und später ein Erbe?

Theoretisch. Aber das ist bei den schätzungsweise 100.000 Spenderkindern in Deutschland noch kein einziges Mal vorgekommen. Im Gegenzug dazu müssten auch Spenderkinder für Unterhaltszahlungen ihrer prekären Spenderväter aufkommen.

Das ist rechtlich nicht geklärt?

Nein. Es steht zwar im Koalitionsvertrag, dass das passieren soll. Bislang kam aber noch nichts.

Raten Sie Paaren trotz der uneindeutigen Rechtslage zur Samenspende?

Mein Beratungsangebot ist immer ergebnisoffen, zu einer tragfähigen Entscheidung müssen die Paare selbst finden. Meiner Erfahrung nach ist die Rechtslage nicht das entscheidende Kriterium für die Paare.

In welchem Alter sollten Eltern ihren Kindern von der Samenspende erzählen?

Das geht schon im Kita- und Vorschulalter. Man kann das spielerisch tun, mittlerweile gibt es gute Bilderbücher dafür. Außerdem vermeiden Eltern spätere mögliche Vorwürfe der Kinder: Ihr habt mich belogen. Warum habt ihr mir das nicht erzählt?

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Warum aber darf die Mutter des Minderjährigen die Information vorenthalten, bis sie es für den richtigen Zeitpunkt hält.

     

    Ich rate jedem davon ab Samen zu spenden. In was für einer Bananenrepublik leben wir eigentlich, dass es die über Jahre hinweg gängige und vertraglich zugesicherte Anoynomität einfach rückwirgend für Null und Nichtig erklärt werden kann.

     

    Kann das Kind die Mutter auch zwingen den Namen des Vaters zu verraten, wenn diese ihn nicht kennt? warum nicht, was ist mit dem Recht am Wissen der eigenen Abstammung in diesem Falle? Und wie soll man wissen, dass die Mutter den Namen wirklich nicht kennt. Was ist, wenn es ein Kuckuckskind ist, und die Mutter es weiß oder vermutet, gibt es eine Gesetz das die Mutter zwingt für Klarheit zu sorgen? Warum nicht?