piwik no script img

Psychologin über Amok-Androhungen„Angst und Schrecken verbreiten“

Nach jedem Amoklauf steigt die Zahl der Schüler, die Gewalt ankündigen. Psychologin Sarah Neuhäuser sagt, warum Lehrer ihnen nachgehen sollten.

Nach einem Amoklauf in Süddeutschland markiert ein Polizist die Einschusslöcher Bild: dapd
Bernd Kramer
Bernd Kramer
Interview von Bernd Kramer und Bernd Kramer

taz: Frau Neuhäuser, Sie haben erstmals untersucht, wie häufig Amokdrohungen an Schulen in Deutschland vorkommen. Zwischen 2005 und 2010 wurden 2.612 Fälle registriert, das sind mindestens 400 Drohungen im Jahr. Hat Sie diese Zahl erschreckt?

Sarah Neuhäuser: Als ich diese Zahlen zusammengetragen habe, war ich vor allem erstaunt, wie uneinheitlich diese Drohungen erfasst werden. Mal registrieren nur die Schulen die Vorfälle, mal sammelt die Polizei. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. Ob diese Zahl besonders hoch ist oder nicht, fällt mir schwer zu beurteilen. Zumindest hat sie zugenommen.

Warum?

Nach jedem Fall, über den die Medien berichten, steigt die Zahl der Drohungen. In einigen Bundesländern hat sich allein eine Woche nach dem Amoklauf von Winnenden im März 2009 die Zahl der Drohungen verdreißigfacht. Selbst zum Jahrestag von Winnenden gab es einen deutlich Anstieg.

Aber keinen neuen Amoklauf.

Ja, zum Glück. Meistens sind es leere Drohungen.

Bild: privat
Im Interview: Sarah Neuhäuser

Jahrgang 1983, ist Diplom-Psychologin. Für ihre Abschlussarbeit hat sie Amokdrohungen gesammelt und ausgewertet. Derzeit schreibt sie an ihrer Dissertation.

Wann ist eine Drohung ernst zu nehmen? Sobald sie groß an der Tafel steht?

Generell kann man sagen: Je anonymer und unkonkreter eine Drohung ausgesprochen wird, desto unwahrscheinlicher ist sie.

Also wischt man sie aus und tut sie als Schülerstreiche ab.

Nein, allem nachgehen! Aber Lehrer sollten das vorsichtig und unauffällig tun, also nicht sofort mit der ganzen Klasse darüber sprechen und Panik verbreiten.

Warum werden vor allem Schulen Schauplätze solcher Taten?

Die Schule ist ein besonders sensibles Umfeld. Sie bietet sich geradezu an für Täter, die etwas Großes vollbringen und möglichst viel Angst und Schrecken verbreiten wollen. In einer Schule sind viele Menschen auf engem Raum zusammen, dazu noch junge Menschen, deren Tod die Gesellschaft besonders tief berührt.

An welchen Schulen gibt es die meisten Androhungen?

Grundschulen wie jetzt in den USA sind in Deutschland eher zu vernachlässigen. Die meisten Drohungen wurden hier an Realschulen und Gymnasien registriert.

Die frustriertesten Schüler dürften doch eher an Hauptschulen zu finden sein.

Das stimmt. Aber eine solche Tat erfordert viel Disziplin und Selbstorganisation. Wer sich an so etwas heranwagt, und sei es nur in Form einer Androhung, bringt in der Regel schon ein hohes Maß an Reflexionsvermögen mit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • E
    Exschüler

    Kinder sind Inteligent genug um den autoritären Drill an den Schulen als Gehirnwäsche zu durschauen .

    Die Schulpflicht verhindert die Entfaltung der Kindlichen Persönlichkeit und fördert agressionen gegen dieses Zwangs-System .

  • W
    Wolfgang

    Solange die Hauptursache ausgeklammert wird, die (kapitalistische) Konkurrenzgesellschaft, solange gibt es keine Lösung, sondern nur weiteren (differenzierten) individuellen, sozial- und gesellschaftspolitischen Amoklauf.

  • R
    reblek

    "Psychologin Sarah Neuhäuser sagt, warum Lehrer ihnen nachgehen sollten." - Wahrscheinlich den Drohungen, aber die gibt es Satz davon nicht, so dass dieser Satz bezugslost ist.

    "Ob diese Zahl besonders hoch ist oder nicht, fällt mir schwer zu beurteilen. Zumindest hat sie zugenommen." - Eine Zahl kann nicht zunehmen, aber die Zahl der Drohnungen.

    "Je anonymer und unkonkreter eine Drohung ausgesprochen wird, desto unwahrscheinlicher ist sie." - Nicht die Drohung ist "unwahrscheinlicher", sondern ihre Umsetzung, nehme ich am.

  • R
    Rizo

    - "Die frustriertesten Schüler dürften doch eher an Hauptschulen zu finden sein."

     

    - "Das stimmt. Aber eine solche Tat erfordert viel Disziplin und Selbstorganisation. Wer sich an so etwas heranwagt, und sei es nur in Form einer Androhung, bringt in der Regel schon ein hohes Maß an Reflexionsvermögen mit."

     

    Wenn ich die Dame richtig verstanden habe, dann sind Hauptschüler ihrer Meinung nach zu doof und zu phantasielos für ´nen gepflegten Amoklauf.

     

    Ich hätte da ´nen anderen, weniger despektierlichen Erklärungsansatz:

     

    Auf Hauptschulen wird im Ernstfall zurückgeschossen!

     

    *lol*