Psychologin über Amok-Androhungen: „Angst und Schrecken verbreiten“
Nach jedem Amoklauf steigt die Zahl der Schüler, die Gewalt ankündigen. Psychologin Sarah Neuhäuser sagt, warum Lehrer ihnen nachgehen sollten.
taz: Frau Neuhäuser, Sie haben erstmals untersucht, wie häufig Amokdrohungen an Schulen in Deutschland vorkommen. Zwischen 2005 und 2010 wurden 2.612 Fälle registriert, das sind mindestens 400 Drohungen im Jahr. Hat Sie diese Zahl erschreckt?
Sarah Neuhäuser: Als ich diese Zahlen zusammengetragen habe, war ich vor allem erstaunt, wie uneinheitlich diese Drohungen erfasst werden. Mal registrieren nur die Schulen die Vorfälle, mal sammelt die Polizei. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. Ob diese Zahl besonders hoch ist oder nicht, fällt mir schwer zu beurteilen. Zumindest hat sie zugenommen.
Warum?
Nach jedem Fall, über den die Medien berichten, steigt die Zahl der Drohungen. In einigen Bundesländern hat sich allein eine Woche nach dem Amoklauf von Winnenden im März 2009 die Zahl der Drohungen verdreißigfacht. Selbst zum Jahrestag von Winnenden gab es einen deutlich Anstieg.
Aber keinen neuen Amoklauf.
Ja, zum Glück. Meistens sind es leere Drohungen.
Wann ist eine Drohung ernst zu nehmen? Sobald sie groß an der Tafel steht?
Generell kann man sagen: Je anonymer und unkonkreter eine Drohung ausgesprochen wird, desto unwahrscheinlicher ist sie.
Also wischt man sie aus und tut sie als Schülerstreiche ab.
Nein, allem nachgehen! Aber Lehrer sollten das vorsichtig und unauffällig tun, also nicht sofort mit der ganzen Klasse darüber sprechen und Panik verbreiten.
Warum werden vor allem Schulen Schauplätze solcher Taten?
Die Schule ist ein besonders sensibles Umfeld. Sie bietet sich geradezu an für Täter, die etwas Großes vollbringen und möglichst viel Angst und Schrecken verbreiten wollen. In einer Schule sind viele Menschen auf engem Raum zusammen, dazu noch junge Menschen, deren Tod die Gesellschaft besonders tief berührt.
An welchen Schulen gibt es die meisten Androhungen?
Grundschulen wie jetzt in den USA sind in Deutschland eher zu vernachlässigen. Die meisten Drohungen wurden hier an Realschulen und Gymnasien registriert.
Die frustriertesten Schüler dürften doch eher an Hauptschulen zu finden sein.
Das stimmt. Aber eine solche Tat erfordert viel Disziplin und Selbstorganisation. Wer sich an so etwas heranwagt, und sei es nur in Form einer Androhung, bringt in der Regel schon ein hohes Maß an Reflexionsvermögen mit.
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