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Psychologe über die Sorgen auf See„Ich wurde zur Unperson“

Hans-Joachim Jensen ist früher selbst zur See gefahren. Später hat er sich als Psychologe für bessere Arbeitsbedingungen der Seefahrer eingesetzt.

Hatte ein „unstetes Leben“, sagt Hans-Joachim Jensen über sich selbst Foto: Miguel Ferraz Araujo
Interview von Juliane Preiß

taz: Herr Jensen, sind Sie als Seemann mal in eine Krisensituation gekommen?

Hans-Joachim Jensen: Oh ja, da gab es mehrere. An eine Situation kann ich mich besonders gut erinnern. Ich hatte gerade frisch mein Patent als Schiffsoffizier gemacht.

Im Interview: Hans-Joachim Jensen

Der Mann und das Meer Jahrgang 1935, floh Hans-Joachim Jensen mit 14 Jahren aus seiner Geburtsstadt Leipzig. In Gelsenkirchen arbeitete er als Bergmann, holte sein Abitur nach, um an der Seefahrtschule Bremen sein Seefahrtspatent zu machen. Jensen fuhr fünf Jahre zur See, studierte Psychologie und Ökonomie, um dann wieder im maritimen Bereich arbeiten zu können. Jensen war an zahlreichen Studien zur Arbeits- und Lebenssituationen von Seeleuten beteiligt, hat Offiziere, Kapitäne und Schiffsärzte mit ausgebildet und sich mit Traumaforschung beschäftigt. Seit 2000 eigentlich emeritiert, aber bis heute für das Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin in Hamburg tätig. Er lebt zusammen mit seiner Frau in Hamburg.

Der Preis Zusammen mit seinem Kollegen, dem Arbeitsmediziner Marcus Oldenburg vom Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin in Hamburg, hat Hans-Joachim Jensen in diesem Jahr den Ehrenpreis der Deutschen Seemannsmission bekommen. Diese begründete den Preis so: Die beiden Wissenschaftler hätten sich für bessere Arbeitsbedingungen von Seeleuten engagiert. (jup)

Was ist passiert?

Wir kamen vor dem dänischen Jütland in einen schweren Sturm. Wir wollten in Esbjerg in einen Nothafen einlaufen. Aber der Lotse wollte uns nicht reinlotsen. Dann sind wir weitergefahren und in Cuxhaven eingelaufen. Wenn die Luken eingeschlagen worden wären, wären wir abgesoffen.

Erinnern Sie sich noch, wie Sie sich gefühlt haben?

Ich bin ganz ruhig geblieben und nicht in Panik geraten. Aber ich habe ganz schön Schiss gehabt.

Worauf kommt es in einer solchen Situation an?

Es ist wichtig, dass die Mannschaft gut trainiert ist. Jeder hat eine feste Rolle in Krisensituationen und weiß, was zu tun ist. Man kann sich mental vorbereiten und gewisse Situationen durch Simulation immer wieder trainieren. Das Training muss so konzipiert sein, dass in Notsituationen gewisse Dinge automatisch ablaufen. Ich brauche das Gefühl der Kontrollkompetenz. Natürlich kann es in Notsituationen auf See immer zu unerwarteten Überraschungen kommen.

Sie haben selbst auch ausgebildet?

Ja, ich habe Offiziere und Kapitäne im Crowd- und Crisis-Management ausgebildet. Nach dem Untergang des Fährschiffes „Estonia“ 1994 wurde diese Ausbildung verpflichtend. Besatzungsmitglieder von Fährschiffen und Passagierschiffen wurden darauf vorbereitet, wie sie bei Havarien und Unfällen Menschen zu führen haben. Dabei haben mir meine eigene Erfahrungen geholfen.

Sie sind von 1962 bis 1967 zur See gefahren. Wie war das damals?

Ich hatte viel Glück bei meinen Heuern, ich bin auf kleinen Schiffen gefahren mit langen Liegezeiten meist in der Karibik. Wir lagen oft zehn bis vierzehn Tage und ich hatte Zeit und konnte an Land gehen. Ich habe unheimlich viel erlebt und interessante Leute kennengelernt.

Das klingt ja richtig nach Seefahrerromantik!

Ja, ich habe noch die Seefahrerromantik kennengelernt.

Nehmen Sie uns doch mal mit in die Karibik!

Wir lagen in Französisch Guayana an einem Urwaldfluss, um Tropenholz zu laden. In Cayenne habe ich einen spanischen Alligatorjäger kennengelernt. Ich habe spontan gefragt, ob ich auf die Jagd mitkommen kann. Konnte ich. Zusammen mit zwei Männern eines indigenen Stammes sind wir nachts mit einem Kanu in die Sümpfe gefahren, um Alligatoren aufzuspüren. Wir mussten lautlos sein, was angesichts der Moskitos eine Herausforderung war. Erspähte mein Vordermann einen Alligator, wurde der erst mit einer Harpune betäubt und dann mit zugebundenem Maul aufs Boot gehievt. Wir waren mehrere Tage unterwegs und ernährten uns ausschließlich von Alligatorfleisch. Trinken musste ich das Wasser aus den Sümpfen, aber ich habe es überlebt.

Wenn Sie so begeistert waren, warum sind Sie dann nicht weiter zur See gefahren?

Ich habe schon früh gemerkt, dass das für mich geistig zu eng gewesen wäre. Das habe ich damals so empfunden. Außerdem merkte ich, dass ich all meine sozialen Kontakte verliere, denn damals war man manchmal auch eineinhalb Jahre nonstop auf See, bis man abgelöst wurde. Ich habe das Leben auf See genossen, aber wollte nicht bis an mein Lebensende ein Vagabund bleiben. Ich hatte Lust auf etwas Neues. Deshalb habe ich mich entschlossen, Psychologie zu studieren. Aber die Umstellung ist mir sehr, sehr schwer gefallen.

Im Arbeitszimmer von Professor Jensen Foto: Miguel Ferraz Araujo

Warum?

Als Schiffsoffizier wurde mir die Koje gemacht. Ich brauchte mich nicht um das Essen zu kümmern, bei Tisch wurde ich bedient. Als ich in Tübingen angefangen habe zu studieren, war es vorbei mit dem Luxus. Ich musste mir ’ne Bude besorgen, mit Kohle heizen. Ich war ja sechs Jahre nur in den Tropen unterwegs gewesen. Ich habe gefroren wie ein Schneider. Aber der Kontakt zu anderen Studierenden hat mir unheimlich gutgetan.

Sie haben eine besondere Zeit für Ihr Studium erwischt.

Ich fing 1967 mit dem Studium an und rutsche quasi in die 68er-Bewegung, wo ich auch aktiv wurde. Ich bin ja überall rumgekommen, habe die Not in der „Dritten Welt“ kennengelernt, Ausbeutung mit eigenen Augen gesehen.

Wie aktiv waren Sie?

Ich war nicht auf Demonstrationen, aber die Diskussionen und die republikanischen Klubs haben mich sehr interessiert. Obwohl ich oft in eine Ecke gestellt wurde: „Du bist ja als Schiffsoffizier auch Ausbeuter gewesen“, wurde mir vorgeworfen. Das Wichtigste an der Bewegung war für mich, dass die alte Nazizeit endlich mal aufgearbeitet worden ist. Ich fand das frustrierend, dass die Eliten größtenteils noch aus der Nazizeit stammten. In den 50er Jahren, als ich als Bergmann arbeitete, stammte der Bergwerksdirektor meiner Zeche aus der Zeit. Die Aufseher hatten noch russische Zwangsarbeiter gequält. Das war für mich prägend.

Was kam nach dem Studium?

Nach dem Studium habe ich an der Hochschule in Flensburg gearbeitet, um schnell wieder auf See zu können und Untersuchungen zu machen.

Was für Untersuchungen waren das?

Das nannte sich die Flensburger Studie. Da ging es um Besatzungsstrukturen. Meine Untersuchungen drehten sich um psychosoziale Bedingungen an Bord, Führungs- und Organisationsstrukturen und psychische Belastungen. Das waren meine ersten Forschungsarbeiten in diesem Bereich. Nach der Veröffentlichungen der Ergebnisse wurde es ziemlich turbulent.

Wieso?

Die Bild hatte über mich geschrieben, und ich wurde so zu einer Unperson für die Seeschifffahrt.

Das müssen Sie erklären.

Ich habe etwas gesagt, was damals in den 70er Jahren nicht gut ankam. Ich hatte gesagt, auf der Brücke müsse Teamwork bestehen und die Bild hat daraus gemacht: Der Alte, also der Kapitän, soll nicht mehr allein das Sagen haben. Ich wurde als Systemveränderer gesehen.

Was wollten Sie denn verändern?

Ich habe gesagt: Dass Frauen auch Führungspositionen ausfüllen sollten, Kapitänin werden. Das kam auch nicht gut an, in den 70ern war die Seefahrt eine sehr männerorientierte Gesellschaft. Ein anderer Punkt war meine Kritik an der Länge des Aufenthalts auf den Schiffen, damals waren Seeleute ein Jahr, manchmal sogar eineinhalb Jahre an Bord. Und ich habe darauf hingewiesen, dass es zu Persönlichkeitsveränderungen kommen kann, wenn man keine anderen sozialen Kontakte als die Kollegen an Bord hat. Es ist nicht gut, sein Leben lang zur See zu fahren. Daraufhin wurde mir vorgeworfen, das Berufsethos des Seemannes infrage zu stellen.

Und dann?

Ich bin zur Polizei gegangen und war an der Hochschule der Polizei Baden-Württemberg tätig. Durch einen Kollegen bin in den Themenbereich psychotraumatische Belastung gekommen. Schusswaffeneinsatz, Geiselnahmen. Ich habe angehende Kommissare mit ausgebildet. Insgesamt sechs Jahre war ich dort tätig, unter anderem als Dekan der Hochschule. Aber mein Bestreben war, wieder an eine Ausbildungsstätte zu kommen, die mit Seefahrt zu tun hat. Und so bin ich 1983 wieder zurück an die Hochschule in Flensburg.

Also hängt Ihr Herz schon ein bisschen an der Seefahrt?

Ja, mein Herz schlägt voll und ganz für die Seeschifffahrt.

Die größte Belastung ist für viele die lange Trennung von ihren Familien

Sie haben an mehreren Studien über psychische Belastungen von Seefahrern mitgearbeitet. Was sind die größten Belastungen auf See?

Die größte Belastung ist für viele die lange Trennung von ihren Familien. In der Seefahrt sind viele Ostasiaten beschäftigt, die eine starke familiäre Bindung haben, sie unterstützen ganze Großfamilien finanziell, die emotionale Bindung ist sehr eng. Sie sind mindestens neun Monate, manchmal zwölf Monate von der Familie getrennt. Und sind in einer Umgebung, die meist westlich orientiert ist. Das führt zu Isolation und auch Depression.

Was könnte den Seeleuten helfen?

Regelmäßiger Kontakt zu ihren Familien. Das ist aber schwierig.

Warum?

Die Containerschiffe werden immer größer und die Mannschaften immer kleiner, die Liegezeiten kürzer, alles um Kosten zu sparen. Die Landgänge sind, wenn sie stattfinden, kurz, und das ist eigentlich die Zeit, die die Seeleute nutzen, um mit den Familien zu telefonieren, oder auch um einfach mal auszuspannen, zum Beispiel in den Niederlassungen der Seemannsmissionen.

Hat sich denn auch etwas positiv geändert?

Es gibt natürlich mittlerweile verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten. Wir haben uns bei unseren Forschungen dafür eingesetzt, die Kommunikation an Bord durch Satellitentelefone zu verbessern, damit die Verbindung mit Familien auch auf See besteht. Mein Kollege Marcus Oldenburg vom ZfAM und ich empfehlen außerdem, die Einsatzzeiten auf sechs Monate zu beschränken. Wobei das auch nicht so gerne von den Besatzungsmitgliedern gesehen wird. Die wollen ja möglichst schnell genug Geld verdienen.

Machen die Reedereien, die ja auch unter hohem Druck stehen, da mit?

Es ist abhängig von den Reedereien, ja, es gibt welche, die sind offen für unsere Empfehlungen und erkundigen sich. In der Kreuzfahrtschifffahrt ist die Situation nochmal verschärft.

Wieso?

Zur Arbeitsbelastung kommt auf den Kreuzfahrtschiffen eine extreme emotionale Belastung. Auf den Schiffen sind sehr viel Frauen beschäftigt, die teilweise für neun Monate ihre kleinen Kinder zu Hause bei den Großeltern auf den Philippinen oder in anderen Ländern zurücklassen. Als Servicepersonal sollen sie rund um die Uhr lächeln, immer freundlich sein, egal ob das Kind zu Hause krank ist oder es andere Sorgen gibt. Es besteht immer wieder diese Diskrepanz zwischen dem eigentlichen Gefühl und dem Gefühl, das sie nach außen transportieren. Die Not wegzulächeln ist eine ziemliche Belastung, die auf Dauer auch zu Persönlichkeitsveränderungen führt.

Was bedeutet das?

Es kommt zu Erschöpfungssyndromen, die auch zu Depressionen führen können. Selbst die verantwortlichen Manager von Reedereien sagen, dass sie nach neun Monaten an Bord völlig ausgelaugt sind.

Haben Sie auf Kreuzfahrtschiffen auch Studien gemacht?

Nein. Ich war an Bord, um Schiffsärzte auszubilden. Ich habe auch Interviews geführt mit Besatzungsmitgliedern, obwohl das nicht gern gesehen wurde.

Sehen Sie den Willen der Reedereien, an dieser Situation etwas zu ändern?

Bedingt. Kreuzfahrttourismus ist ein Massenbetrieb, die Kosten werden extrem knapp kalkuliert. Die Schiffe fahren ja nicht unter deutscher, sondern unter fremder Flagge, um Kosten wie Steuern weiter zu drücken. Man kennt diese Probleme. Trotzdem wird die Ausbeutung der Besatzungen akzeptiert.

Sie haben sich auch mit Traumaforschung beschäftigt. Was können traumatische Erlebnisse an Bord sein?

Das können Bedrohungen durch Piraten sein, bei denen teilweise Seeleute als Geiseln genommen wurden. Blinde Passagiere, auch die Seenotrettung von Geflüchteten kann traumatisch sein. Wenn Ertrunkene geborgen werden müssen, wenn auf einmal Dutzende oder Hunderte Menschen an Bord sind, die ja ihrerseits auch wieder Ängste haben. An Bord passieren auch immer mal wieder schwere Unfälle, bei denen im schlimmsten Fall Menschen sterben. Ich habe Seeunfallanalysen gemacht und geschaut: Wie verarbeiten die Menschen das? Welche Probleme ergeben sich?

Mit welchen Ergebnissen?

Sie haben an Bord verschiedene Kulturen, die mit Krisen unterschiedlich umgehen. Zum Beispiel haben Philippiner eine sehr enge Bindung an ihre ethnische Gruppe und Religion spielt eine große Rolle. Diese spirituelle Bindung muss man sehr ernst nehmen. Ich hatte mit einem Fall zu tun, wo ein Philippiner über Bord gegangen und ertrunken ist. Seine Landsmänner standen unter Schock, sahen den Unfall als Fluch und wollten das Schiff verlassen. Über die Seemannsmission wurde dann ein Priester vermittelt, der die Räume auf dem Schiff ausgesegnet hat. So konnten die Männer bleiben.

Was ist also zu tun nach einem Unfall?

Die Menschen müssen nach traumatischen Situationen aufgefangen werden, tun Reedereien das nicht, riskieren sie die psychische Gesundheit ihrer Crewmitglieder. Das erste Gespräch nach einem Unfall ist extrem wichtig. Das kann schon sehr entlastend sein. Aber dieses Gespräch muss in einem geschützten Raum mit einer neutralen Person geführt werden. Ihrem Arbeitgeber werden sich die Leute mit psychischen Problemen nicht immer offenbaren. Diese neutrale Position stellen die Seemannsmissionen dar.

Aber es kann ja Tage dauern, bis der nächste Hafen mit einer Seemannsmission angelaufen wird.

Ja, das ist das Problem. Hilfe kommt oft erst später, manchmal erst, wenn die Mannschaft abgelöst wird. Das ist zu spät. Ich arbeite im Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (ZfAM) in Hamburg mit dem Arbeitsmediziner Marcus Oldenburg zusammen. In unseren Studien haben wir uns mit den Fragen beschäftigt: Wie kann man solche Hilfsangebote international organisieren? Es gibt ein, zwei Reedereien, die sich beim ZfAM über Beratungs- und Hilfeangebote informieren, die sich bemühen, Besatzungsmitglieder aufzufangen und zu stabilisieren. Am besten wäre es natürlich, wenn ein Seelsorger oder Psychologe nach Unfällen einige Zeit an Bord mitfährt. Aber das ist höchst selten.

Was reizt an der Traumaforschung?

Mich interessiert, wie Menschen auf Erlebnisse reagieren, und wie sie diese verarbeiten. Und wahrscheinlich, weil ich auch persönlich extreme Belastungen erfahren habe. Zum Beispiel als Kind – die Erlebnisse während eines Bombenangriffs.

Sie sind in Leipzig geboren?

Ja, und mit 14 Jahren von dort geflohen.

Wie verlief die Flucht?

Ich bin mit meiner Mutter in Marienborn bei Helmstedt an der heutigen Grenze Sachsen-Anhalts zu Niedersachsen schwarz über die Grenze, wie man damals sagte. Es war früher Morgen, als uns ein Führer über die Grenze brachte. Wir mussten uns im Wald verstecken, weil Grenzer kamen. Und dann kamen wir nach Düsseldorf. Ich hatte mich auf der Flucht schon gefreut, weil ich glaubte, im Westen könnte ich endlich die Oberschule besuchen. In der DDR haben sie mich nicht gelassen, weil ich nicht in der FDJ war und mich konfirmieren ließ. Aber da war nix mit Oberschule, meine Mutter war mittellos. Ich musste arbeiten.

Als was?

Als Bergmann. Kurz bevor ich in der Zeche in Gelsenkirchen anfing, gab es dort ein großes Unglück. Fast 80 Bergleute waren tödlich verunglückt. Die brauchten Nachwuchs. Ich habe später die Prüfung als Knappe abgelegt. Fast fünf Jahre habe ich als Bergmann gearbeitet. Aber für mich war immer klar, auf die Dauer stehe ich das körperlich nicht durch. Und ich habe mich entschlossen, das Abitur nachzumachen.

Und dann?

Mit einem ziemlich schlechten Abitur in der Tasche wollte ich Bergbau in Clausthal-Zellerfeld studieren. Aber genau in dieser Zeit begann das Zechensterben. Der Bergbau hatte keine Zukunft. Und so bin ich dann zur Seefahrt gekommen.

Also was ganz anderes. War das so eine Art Kindheitstraum?

Ich glaube schon. Bevor ich Bergmann wurde, wollte ich eigentlich als Schiffsjunge zur See fahren. Ich war kurz davor anzuheuern. Aber meine Mutter hatte mir davon abgeraten. Und nach dem Krieg gab es in der Seefahrt in Deutschland nicht viele Jobs, es gab ja keine Flotte, alles war zerstört. Aber der Wunsch, zur See zu fahren, spukte in meinem Kopf.

Wann waren Sie das letzte Mal auf einem Schiff?

Oh, das ist lange her. Vor Corona. Aber ich fahre nicht mehr zur See, bin nur noch kurz als Besucher an Bord.

Wieso?

Die Reedereien wollen mich nicht mehr an Bord haben, denen bin ich zu alt. Da besteht die Gefahr, dass ich plötzlich zum Notfall werde, dann müssten sie einen Nothafen anlaufen, und das kostet Zeit und Geld. Frustrierend, aber irgendwie auch nachvollziehbar. Die aktive Seefahrt ist für mich vorbei.

Und was machen Sie?

Ich arbeite zum Beispiel immer noch eng mit der Seemannsmission im Bereich der psychosozialen Notfallversorgung zusammen. Mein Kollege Oldenburg und ich tauschen uns gegenseitig aus. Aber während der Coronazeit habe ich mich weitgehend isoliert. Mit 86 Jahren gehöre ich ja zur Risikogruppe.

Das muss frustrierend sein für einen umtriebigen Menschen wie Sie?

Ich habe eine Beschäftigung gefunden. Meine Freunde und Verwandten haben mir geraten, meine Erlebnisse aufzuschreiben, das mache ich jetzt. Aber ich will nichts groß veröffentlichen. Wenn jemand Lust hat, das zu lesen, freue ich mich. Es ist eine Gelegenheit, die Gedanken zu ordnen. Mir macht das große Freude. Ich hatte ein unstetes und privilegiertes Leben, das ist mir bewusst.

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