Psychische Belastung im Job: Horror Arbeitsplatz
Wenn der Job zum Psychotrip wird: Die Deutschen fehlen immer seltener am Arbeitsplatz. Doch die psychische Belastung im Job nimmt zu, warnt der Psychologenverband.
Als die 40-jährige Petra Scheffer* im März in die Rehaklinik kam, war sie nur noch erschöpft. Fast zwanzig Jahre hatte sie als Altenpflegerin gearbeitet, immer wollte sie für die Menschen da sein, ihnen helfen. Doch irgendwann ging es einfach nicht mehr, vor allen Dingen die Nachtschichten machten ihr zu schaffen. "Sie stand kurz davor, für immer arbeitsunfähig zu werden", sagt Thomas Müller-Holthusen, Chefarzt an der Klinik Möhnesee im Sauerland. "Ein typischer Burn-out-Fall."
Und ein Fall wie er offenbar immer häufiger vorkommt. Zwar sind die Fehlzeiten in den Betrieben im ersten Jahresviertel im Vergleich zum Vorjahr um 8 Prozent geringer geworden, wie die Tageszeitung Welt unter Berufung auf neueste Statistiken des Gesundheitsministeriums schreibt; doch nach einem Bericht des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), der an diesem Dienstag veröffentlicht wird, haben die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz drastisch zugenommen. Der Anteil von Depressionen, Ängsten und anderen psychischen Störungen an den Fehltagen sei in den vergangenen Jahren von 6,6 Prozent auf 10,5 Prozent gestiegen, schreibt der Psychologenverband.
Als Gründe werden in dem Bericht u. a. zunehmender Zeitdruck, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und die Angst der Menschen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes genannt. "Die berufliche Zukunft der Menschen ist heute von viel größerer Unsicherheit geprägt als früher", sagte Elmar Brähler, einer der Autoren des Berichts und Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Soziologie der Uni Leipzig, der taz. "Die ständigen Rationalisierungen und Umstrukturierungen sind für viele nicht so einfach zu verkraften."
Rund 25 Prozent der Berufstätigen machten sich laut einer repräsentativen Befragung Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Das wirkt sich auch negativ auf die Lebensqualität aus. Nach Angaben der Forscher leiden diese Befragten nicht nur stärker unter chronischem Stress als Berufstätige, die sich keine Sorgen um ihren Job machen, sondern sogar stärker als Arbeitslose. "Damit wird deutlich, wie stark die psychischen Belastungen sind, unter denen auch die von Kündigungswellen (noch) nicht selbst Betroffenen leiden", so der Bericht.
Das psychische Wohlbefinden der Mitarbeiter ist offenbar auch eine Frage guten Führungspersonals. Das Risiko, am Burn-out-Syndrom zu erkranken, sei dreieinhalbmal so hoch, wenn die Mitarbeiter nur wenige Möglichkeiten haben, sich im Unternehmen mit eigenen Ideen einzubringen. "Wir haben in Deutschland nicht nur ein Problem mit Managergehältern, wir haben einen weit verbreiteten Mangel an Managerqualitäten", sagte BDP-Vizechef Thordis Bethlehem.
Als Risikogruppen werden in dem Bericht neben LehrerInnen und LokführerInnen die Beschäftigten in Gesundheitsberufen genannt, also Krankenschwestern, AltenpflegerInnen und ÄrztInnen. Der Grund sei häufig ein zu hohes Ideal vieler Beschäftigter in der Gesundheitsbranche. "Der Beruf wird von den Ausübenden auch heute noch als Berufung mit hohem Anspruch an sich selbst gesehen", heißt es in dem Bericht.
Das hatte die Klinik Möhnesee auch bei der 39-jährigen Petra Scheffer festgestellt, die im März ins Sauerland kam. "Sie erschöpfte sich im Dasein für alle anderen", sagt Chefarzt Müller-Holthusen.
Die Altenpflegerin hofft nun, nach sechs Wochen Rehabilitation und Stressbewältigungstraining, wieder besser in ihrem Beruf zurechtzukommen. Ob das klappen wird? Als Scheffer vor einer Woche die Klinik verließ, gab sie immerhin an, "voll erholt" zu sein.
* Name geändert
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