Pseudo-Dokus im TV: "Sozialporno mit Kondom"
Wie böse sind Pseudo-Dokus mit Schauspielern? Die Teilnehmer des Mainzer Mediendisputs in Berlin finden: Inszenierung von Realität ist okay, solange sie Menschen nicht vorführt.
Was ist künftig noch echt im Fernsehen? Darüber wurde am Dienstagabend beim Mainzer Mediendisput in Berlin diskutiert. Zu Beginn wurde ein Ausschnitt aus der Pseudo-Dokusoap "Familien im Brennpunkt" von RTL gezeigt. Der Konflikt: Mutter leiht Freund Geld, Tochter ist dagegen. Viel Geschrei und Gezeter - von Schauspielern und nach Drehbuch. Das ist "Scripted Reality": ein Format, das Wirklichkeit inszeniert.
Carl Bergengruen, Spielfilmchef des SWR, Frank Beckmann, Programmdirektor des NDR, und Dokumentarfilmer Andres Veiel waren sich einig: Die Menschenwürde sei in Gefahr, die klassische Dokumentation und das Weltbild der Menschen auch. Zwar müsse man differenzieren, nicht alle Sendungen seien schlecht. Aber oft würden Menschen vorgeführt, das sei bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht vorstellbar, so Bergengruen. Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen nannte das Ganze, unter Berücksichtigung des "moralischen Restgewissens" der Privaten: "Sozialporno". "Mit Kondom", ergänzte Moderator Thomas Leif vom Mitveranstalter Netzwerk Recherche.
Nur eine sagte wenig: Kathrin Löschburg, Geschäftsführerin der Produktionsfirma MME. Sie produziert das - nicht geskriptete - Format "Bauer sucht Frau" für RTL. Was sie aber sagte, war fundiert: Sie glaube daran, dass mündige Zuschauer erkennen würden, wenn Schauspieler am Werk seien. Dennoch sei sie dafür, Scripted-Reality-Formate als solche zu kennzeichnen. Und zum Schluss überraschte sie mit der selbstkritischen Einschätzung: "Ich selbst würde mir keine Scripted Reality in der Prime Time wünschen."
Das einvernehmliche Fazit: Den Dokumentarfilm wird es weiter geben, Inszenierung von Realität ist okay, solange sie Menschen nicht vorführt. Übrigens auch für die Öffentlich-Rechtlichen: Kathrin Löschburg produziert gerade eine Dokusoap für den SWR.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier