Prêt à porter: Unschuld, die einmal enden muß
■ Kalt und verschlossen gehen die Models über den Steg. Ist da noch irgendwo Leidenschaft? Zum Ende ein bescheidener Dries van Noten und der Aufmarsch roter Wäschekleider
Schön, wir sind also alle bequem und vernünftig gekleidet und frei. Frei wozu? Zu Halbherzigkeit? Man appliziert eine kleine Rüsche, aber richtig romantisch will man nicht sein. Man drapiert, aber bitte nicht zu konstruktivistisch. Fast jede Kollektion hier in Paris ist ein Basar für sich: Es gibt von allem etwas – in winzigen Dosen. Neu ist nur die Geschwindigkeit, mit der alte Moden recycelt werden. Retro greift nicht mehr die Mode von vor zwanzig Jahren auf, sondern die der letzten Saison. Dolce und Gabbana zeigten in ihrer letzten Kollektion handbemalte Kleider – alle zeigen bemalte Kleider. Balenciaga zeigte letzte Saison Halsmanschetten – alle zeigen Halsmanschetten, oder zumindest hohe Kragen. Martin Margiela zeigte seine letzte Kollektion als Film – mindestens fünf Designer zeigen diesmal ihre Kollektion als Film. Drei Tage ging das so. Dann traf jemand eine Entscheidung.
Das erste Model stand für die ganze Kollektion von Veronique Branquinho, einer 22jährigen Designerin aus Belgien. Es trug eine weiße Baumwollbluse mit Stehkragen und und sorgfältig bis fast zum Ellbogen hochgeknöpften Manschetten. Den hohen Kragen und die Schulternähte zierten kleine weiße Rüschenborten. Die Bluse war ordentlich in den Bund eines geraden schwarzen Rocks gesteckt, der knapp den Fußboden berührte. Auf Schienbeinhöhe befand sich ein Volant. Das zweite Model: ein etwas kürzerer Rock, der die Fesseln sehen läßt, dazu weiße Wollstrumpfhosen und flache schwarze Samtpantoffeln mit einem Riemchen. Pastorentöchter! Dann – ein in große Falten gelegter Rock, der hinten über den Boden schleifte.
Mein Gott, schlägt ein Herz unter diesen Rüschenborten? Hat Leidenschaft diese Nachlässigkeit verursacht? Nein. Kalt und verschlossen geht die nächste an uns vorbei, die hochgeschlossene Bluse und der wadenlange, am Bund angekrauste Rock verhüllt von einem fast bodenlangen Dreieckstuch mit Fransen.
Dann wurde es grau. Trägerlose Kleider, die über dem Busen von einem Sweatshirtbund gehalten wurden. Der Stoff war am Bund leicht angekraust, so daß das Kleid gerade so weit vom Körper abstand, daß sich die Körperformen nicht abzeichnen konnten. So abweisend, daß man es kaum wagt, auf die nackten Schultern zu sehen. Die nächste Riege trug diese Kleider in Schwarz und in Grau, aber diesmal mit einem langen weiten Mantel aus Chiffon darüber, jeweils in der Farbe des Kleides. Die schwarzen Mäntel waren teilweise so dicht, daß die Mädchen in einen Tschador gehüllt zu sein schienen. Kein Sport, keine Karriere und kein Sex: Branquinhos Entscheidung endete in der absoluten Verweigerung. Mädchen sind für so etwas anfällig. Man sollte ihnen das nicht durchgehen lassen. Sie müssen darauf vorbereitet sein, daß ihnen eines Tages ein Trunkenbold auf den Hintern haut und gierig fragt: Trägst du auch diese pludrigen Baumwollschlüpfer?
Dries van Noten schritt noch einmal den Pfad ab, den Yamamoto vor zwei Jahren angelegt hat: spätes 19. Jahrhundert, melancholisches Fin de siècle. Den Anfang machte viktorianische Wäsche: lange weiße und schwarze Kleider, die vorn wie Mieder geknöpft waren. Über einem langärmligen weißen Miederkleid mit einem üppig gebauschten langen Rock lag ein schwarzer Mantel mit enger Taille und dreiviertel Ärmeln. Aus dem Schlitz, der hinten bis zur Taille ging, quoll üppig der weiße Stoff des Rocks hervor. Der Baumwollstoff war weich und immer ein bißchen zerknittert.
Dries van Noten, berühmt für seine prächtigen Farben und Muster, gab sich diesmal bescheiden. Die Muster hatten immer dieselbe Farbe wie das Kleidungsstück, sie glänzten nur ein bißchen. Noch eine Unschuld vom Lande? Ja. Aber eine, die darauf zu warten scheint, daß dieser Zustand endet. Zwar trugen die Models zu den knielangen Wäschekleidern dichte schwarze Strumpfhosen (im Sommer!), aber die Arme waren meist nackt, und viele der Kleider hatten einen V-Ausschnitt, der wenn schon keinen Busen, so doch viel Dekolleté sehen ließ. Am Ende kamen die Wäschekleider in flammendem Rot! Anja Seeliger
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