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Prozesse nach dem 1.MaiKlima der Einschüchertung

Anwälte werfen der Polizei und der Staatsanwaltschaft vor, bei linksmotivierten Straftaten einseitig und voreingenommen zu ermitteln.

Wer am 1. Mai festgenommen wurde, musste nach Einschätzung von Anwälten einseitige Ermittlungen befürchten. Bild: ap, Miguel Villagran

Auch Polizisten und Staatsanwälte können sich irren. Aber das, was der Republikanische Anwaltinnen- und Anwaltsverein den Ermittlungsbehörden vorwirft, kann schlechterdings nicht mehr als menschliche Schwäche durchgehen. Bei Delikten mit linkem Szenebezug werde bewusst einseitig, voreingenommen und stümperhaft ermittelt, sagte Rechtsanwalt Sven Lindemann am Montag auf einer Pressekonferenz.

Die Unschuldsvermutung werde systematisch außer Kraft gesetzt, die Beweislast in dem Sinne umgekehrt, dass die Beschuldigten ihre Unschuld beweisen müssten. Um Ausrutscher handele es sich dabei nicht, betont Anwalt Rüdiger Jung: "Das ist ein strukturelles Problem." Aktuelle Bespiele: Die 21-jährige Alexandra R. saß fünfeinhalb Monate wegen versuchter Autobrandstiftung in U-Haft. Im November 2009 wurde sie freigesprochen. Die Schüler Yunus K. und Rigo B., die am 1. Mai 2009 einen Molotowcocktail auf Polizisten geschleudert haben sollen, saßen siebeneinhalb Monate in Untersuchungshaft. Im Januar 2010 erging auch in ihrem Fall Freispruch.

Das Verfahren gegen Yunus und Rigo sei ein "Paradebeispiel für die Beweislastumkehr", sagt deren Anwalt Ulrich von Klinggräff. Von Anfang an hätten erhebliche Zweifel an der Schuld der Schüler bestanden; den belastenden Aussagen von zwei Polizisten hätten entlastende Indizien gegenüber gestanden. Aber Polizisten hätten den Status von Zeugen erster Klasse: "Ihren Aussagen wird in besonderem Maße geglaubt". Schlimmer noch: Zentrale entlastende Indizien seien im Ermittlungsverfahren nicht zu den Akten gelangt, Fehler vertuscht worden. Das Gericht habe die Ermittlungsfehler siebeneinhalb Monate lang "gedeckt", sagt Klinggräff. Bei den Ermittlungen gehe es nur um eins: Verurteilung um jeden Preis.

Alles werde dran gesetzt, "irgendjemanden zu hängen" bestätigt die Rechtsanwältin von Alexandra R., Undine Weyers. Die junge Frau war wegen des Verdacht der versuchten Autobrandstiftung in Untersuchungshaft gekommen, weil ein Polizeibeamter seine Aussage in einer Nachvernehmung "nachgebesssert" hatte. Plötzlich sagte er, er habe das Gesicht der Tatverdächtigen gesehen. Zuvor hatte er keine Personenbeschreibung abzugeben vermocht.

Dass die Justiz Polizisten mehr glaube als normalen Zeugen sei kein neues Phänomen, sagen die Anwälte. Neu sei, dass die Polizeibehörde Freisprüche als Niederlage empfinde und deshalb zunehmend "nachgebessert" werde. Zum Beispiel durch Zeugenschulungen von Polizisten. Oder auch, indem Vorgesetzte die Aussagen von untergebenen Polizisten auf ihre Stichhaltigkeit testen würden.

Ingesamt spricht der Republikanische Anwaltsverein von einem Klima der politischen Einschüchterung. In Berlin würden deutlich härtere Strafen für Stein- und Flaschenwürfe ausgesprochen als etwa in Hamburg, heißt es. Schon kleinste Demonstrationen würden von starken Polizeiaufgeboten begleitet, sagt Anwalt Sven Richwin, der sich auf Verwaltungsrecht spezialisiert hat: "Das Absurde ist: Je kleiner eine Demo, desto rustikaler das polizeiliche Vorgehen". Bei Festnahmen werde regelmäßig körperliche Gewalt angewendet. Bei DemonstrationsteilnehmerInnen mache sich deshalb zunehmend ein Ohmachtsgefühl breit.

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2 Kommentare

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  • BC
    Bernhard Croll

    es ist mehr als erschreckend,dass ein Verrückter wie Westerwelle satte 33 Leserkommentare produziert,zu diesem Thema jedoch die öffentliche Resonanz gleich 0 ist,von Sabines Kommentar abgesehen.

    Deutschland ist nicht nur ein Präventionsstaat sondern erfüllt alle Kriterien,die einen Repressionsstaat repräsentieren.Die Judikative und ihr verlängerter Arm, die Exekutive haben schon lange Geschichte geschrieben. In den 80ern haben sich dabei besonders verdient gemacht eine Richterin des Landgerichts Berlin, Schwarzmann als auch ihr zuspielender Part,Oberstaatsanwalt Pzytarski.Sie waren für die politischen Exzesse verantwortlich und kriminalisierten Menschen,die lediglich ihre Grundrechte wahrnahmen gleich reihenweise.Und ohne die Unterstützung ihrer Schergen und Bütttel in Uniform,die durch bezielte Falschaussagen geradezu in Höchstform aufliefen,hätte so manches Urteil nicht gefällt werden können.Letzten Endes wurde in Schwarzmanns Büro ein komplettes Alkohollager gefunden,und Pzytarski brach sich im Treppenhaus zu Moabit den Arm,soll sagen dass sich solche Leute wohl eher ihr Gewissen trumbunken machten.Die Staatsgewalt hat sich an den Dimensionen der 80er Jahre hochgerüstet und verfügt über ein Potential,was mehr als erschreckend ist.

    Ich habe damals für mich entschieden an keiner Demonstration mehr teilzunehmen,bei der Bullen Spalier laufen,1987 aus Anlaß des US-Luftschlags

    auf Lybien gab es aus meiner Sicht die letzte imposante Demo mit ca 7000 Teilnehmern,außer vor dem Amerikahaus/Bahnhof Zoo hielten sich die Bullen im Hintergrund. Jahre zuvor manifestierte sich der 1.Mai,jedoch nicht in seiner heutigen Form.Ein friedliches Strassenfest am Lausitzer Platz wurde von Turnschuh- und Tonfaeinheit der Westberliner Bullen gesprengt,CS und Tränengas wurde eingesetzt gegen friedliche Menschen,viele Familien nebst Kindern sowie alte Menschen blickten in die Fratze des Systems,denn nach dem abgebügelten Häuserkampf (Verhandler spielten sich gegen Nichtverhandler aus)gab es im damaligen Westberlin keine Feindbilder mehr.

    Aus dieser Zeit entstammt meine persönliche Entscheidung sich nicht mit Bullen auf Diskussionen einzulassen,ein Gespräch mit einem Bullen im Zuge einer Demo zum Schutz der Regenbogenfabrik brachte mir damals ein Verfahren wegen Widerstand ein,überhaupt und bis heute eine gern benutzte Sache,wenn Sie sich nicht verstanden fühlten bzw fühlen.In der heutigen ist das Repressionsangebot um den Begriff Gefangenenbefreiung erweitert,ein weiterer Freibrief Menschen zu kriminalisieren.

    Gemessen am Aufgebot des Systems ist heute jedoch eine differenzierte Qualität auf der Strasse transparent,der Begriff martialisch genügt nicht,und ich will mich hier auch nicht in das vorherrschende Schubladendenken einreihen,wenn es um links oder rechts geht.Fakt ist der ungehinderte Zugang für mehr als 5000 Nazis in eine Stadt,Linke hingegen werden im Vorfeld kriminalisiert,wenn sie zur Gegendemo aufrufen.Aufgrund unterschiedlicher Rechtsauffassung (wie ist solches möglich?)sollte das Land Sachsen mit Bayern vielleicht ein Königreich bilden... Fakt ist auch dass Bullen mit ihren Falschaussagen zwei Jugendlichen für mehr als 7 Monate in den Knast brachten,ein Gericht mitspielte und ein Staatsanwalt bis zuletzt und wider besseren Wissens hohe Haftstrafen forderte.Solche Typen sind kriminell und benutzen ihren Apparat,vergehen sich letzten Endes am Leben anderer.Diese beiden Jungs wird es für ihr Leben geprägt haben,und dabei ist es nur die Spitze des Eisbergs.Ein fehlerhaftes Gutachten des LKA Berlin sorgte vor Jahren für über 8oo Tage U-Haft und eine Verurteilung zu Lebenslang, verhängt gegen eine Frau wegen Brandstiftung mit Todesfolge. Erst ein präzises Gutachten des BKA Wiesbadeb sorgte für einen Freispruch.Die Folge jedoch ist ein,bis dahin geordnet, zerstörtes Leben.

    Hinter all dem steht ein System und das heißt Berlin.Und es gilt heute mehr denn je Transparenz zu schaffen,nicht nur bezogen auf die alljährlichen Polizeifestspiele (mit bundesweiter Ausschreibung) zum 1.Mai.Willkür ist allgegenwärtig und wird mittlerweile nicht länger nur von Bullen verkörpert.

    Figuren wie Schäuble wollten nicht umsonst mehr Macht für Uniformträger.

    Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind BVGler und Securitas-Uniformträger.

    In der Nacht des 26.11.2008 befand ich mich mit meiner Freundin(zum Zeitpunkt 50 bzw. 54 Jahre jung)vom Mehringdamm kommend auf der Heimfahrt nach Friedenau,wir hatten einen netten Abend mit Freunden aus alten Zeiten im Clash/Mehringhof gehabt.Selbiger endete im U-Bahnhof Berliner Strasse in Trümmern.Es war 1.03Uhr und es gab keinen Anschluß Richtung Rathaus Steglitz,dafür intensiven Kontakt mit zwei BVG-Schliesser,absolut assoziales Pack,welche uns Richtung Ausgang eskortierten und uns dort das Absperrrgitter auf unsere Körper klatschten(Die TAZ berichtete).Damit nicht genug, einer der Beiden,osmanischer Herkunft und einen Kopf kleiner als meine Person und uns bis zum Strassenland folgend,zog mich mit einem Ruck an der Jacke fassend in Richtung seines Kopfes,man es auch Kopfstoß nennen.Jedoch mißlungen,denn er verletzte sich dabei selbst.Hatte Platzwunde an der Stirn.Ich erlitt eine heftig blutende Platzwunde im rechten Augenhöhlenbereich.Nach zwei Minuten erschien ein Polizeifahrzeug mit zwei Insassen sowie ein RTW,die beiden ließen sich verfrachten,wir stellten Strafantrag wegen Körperverletzung-und dann waren wir allein.Im Folgenden ließen sich die Beiden von den Plögers vertreten(in bestimmten Kreisen auch als die Plögerbande bekannt),vom Amtsgericht als Adhäsionskläger zugelassen und gegen mich nach vier(4!)Verhandlungstagen eine Verurteilung wegen zweifacher Körperverletzung ausgesprochen,zeichnend ein Richter Sattler.Den Osmanen soll ich hochgehoben und einen Kopfstoß verpasst haben,zuvor soll ich ihn gegen die Wand geschleudert haben.Dem anderen BVG-Schließer soll ich durch das bereits zur Hälfte geschlossene Gitter(oder um das Gitter herum,sie brachten während des Prozesses verschiedene Versionen vor,sich jeweils widersprechend)einen Faustschlag verpasst haben,der jedoch keine Spuren hinterlassen hat.Dem Gericht war die Wahrheit scheißegal,hier wurde unter dem berühmten Teppich gekehrt ,was nicht sein kann und darf.Das Theaterstück nimmt seit dem 16.11.2009 seinen Fortgang vor der 63.Kammer des Landgerichts,wo sie bereits einen Auftritt mit neuen Aussagen präsentierten.

    Ein weiteres Beispiel,wie sich Vetreter der Berliner Justiz selbst zu Handlangern machen,ist für meine freundin und mich seit dem 18.05.2009

    Teil unseres Lebens.Nach einer Geburtstagsparty verbrachten wir den Rest der Nacht in der Kneipe Franziskaner,Dresdner Straße in SO36,verließen diese gegen 6Uhr,es war für uns ein netter Abend gewesen.Selbiger endete am Kotbusser Tor,ebenfalls in Trümmer.Unser Ziel war Möckernbrücke,U7,U9 und dann ins Bett.Nach Betreten des Bahnsteigs sahen wir uns einem Securitastyp gegenüber,welcher mich des unberechtigten Betätigens des Notausschalters der Rolltreppe bezichtigte,uns die Weiterfahrt verwehrte mit dem Hinweis,die Polizei sei bereits unterwegs.Weder habe ich die Notbremse gezogen noch irgendeinen Kontakt,nicht einmal verbaler Art mit besagten Securitastypen gehabt.Dieser,ebenfalls osmanischer Herkunft wog mindestens 120kg(Zitat aus seiner Zeugenaussage:...Ich bin Mitarbeiter der BVG und fahre immer auf der U1 hin und her,damit alles seine Ordnung hat...???...Das Ziehen einer Notbremse ist für die Fahrgäste äußerst gefährlich...).Die Polizei erschien dann auch(Abschnitt 53),5 Typen und eine Frau,zwei sperrten den Treppenbereich Richtung Skalitzer strasse/Ecke Kaiser's ab,die anderen nahmen unsere Personalien auf.Deren Auftreten war absolut provozierend,wir verhielten uns passiv.Anschließend verließen sie das Gelände und bestiegen ihre Fahrzeuge,wir folgten mit Abstand,denn nach wie vor durften keinen Zug benutzen.Im Strassenbereich passierten uns drei Fahrzeuge,wir überquerten die Strasse,2 Fahrzeuge bremsten,Inhalt sprang heraus und ich wurde auf einen Glascontainer geworfen,Handschellen angelegt,derart straff,daß es meine Uhr wegsprengte.Ich wurde in ein Fahrzeug verbracht,meiner Freundin wurde durch Polizistin mitgeteilt sie könne nach Hause gehen,gegen sie läge nichts vor.Sie wollte lediglich wissen was jetzt mit mir geschieht,worauf sie eingeladen wurde mitzufahren.Letztlich wurde ich ohne Schuhe und Gürtel in eine Zelle gesperrt, meine Freundin ebenfalls.Wir wurden beide ed behandelt,das ganze Balett.Ihr wurde eröffnet,gegen sie werde jetzt wegen versuchter Gefangenenbefreiung ermittlung(wie krank ist das alles...)

    Letzte Woche kam ihr Strafbefehl,basierend auf Falschausagen von 9(!) Beteiligten,und sie wurde verurteilt ohne gehört worden zu sein.Meine Anklageschrift kam gestern,es geht um Widerstand,Beleidigung und Körperverletzung.Fazit:die hatten das Urteil des AG Tiergarten(BVGler) auf dem Schirm,das ließen sie mich bei Verlassen der Gesa auch wissen.

    Das Ganze ist mehr als ein Skandal,uns und unserem Bekanntenkreis fehlen einfach nur noch die Worte.Es gilt ein Forum zu schaffen,in dem solcher Machtmißbrauch transparent wird.Und wir sind kein Einzelfall.Es kann einem nur noch schlecht werden,wenn ein Geschäftsführer einer Bar in der Görlitzer Strasse aufgrund einer hilflosen Person,die durch die Nacht irrte und den club betrat,die Polizei zwecks Hilfeleistung aktiviert und am Ende blutig zusammengetreten am Boden liegt.Auch hier gilt,mindestens hat sich dabei ein Bulle am Körper verletzt,ein anderer vielleicht beleidigt und ein Dritter vielleicht gewiderständlicht gefühlt.Die haben mittlerweile einen Freischein,ihre Admins sitzen in Moabit.

    Ich habe selten derart viel Dreck auf einem Haufen gesehen.

    Anmerkung des Verfassers:

    Das Wort Bullen entspricht dem landesüblichen Sprachgebrauch und stellt keine Beleidigung im Sinne des StGb dar,Grundsatzurteile des OLG Karlsruhe sowie LG Berlin aus 1983 regeln dies elementar.

  • S
    Sabine

    und genau diese Ohnmacht, die in Polizeigewalt ein besonders ausdrucksstarkes Element entwickelt, wird auch immer weiter die Eskalation fördern, wird immer weiter Hass gegen Staat und Beamte emotional untermauern. Der Staat seinerseits reagiert auf Kontrollverlust affektiv mit noch mehr Kontrolle. Dem wohnt ein Unfehlbarkeitsgedanke fundamental inne. Er rechtfertigt sich aus der Existenz des übergeordnete Staats an sich - er kann und darf nicht falsch liegen. Menschen mit starken Drang nach ferier Entfaltung werden sich nie auf Vorsätze beschränken die "von oben" gesetzt werden sondern höchstens auf Augenhöhe vereinbart werden. Und solange bleibt der 1 Mai was er ist. Ein Kulminationspunkt gesellschaftlicher Konflikte, linksradikaler Gebärden, Erinnerungstag für eine verratene und verkaufte Klasse unbewusster Lohnabhängiger und Spielplatz der etwas rabiateren Sparte der Spaß- und Konsumgesellschaft die Hirn versäuft und den Kick der besonderen Art sucht. Wer den Fehler am Tag an sich sucht wie Konservative SpinnerInnen wird auch auf ewig antwortlos bleiben und dessen unerbitterliche Argumentation führt höchstens immer weiter zu autoritaristischen und präfaschistischen Gesellschaftsvorstellungen... per wikipedia definition erfüllt deutschland ja eh schon viele punkte eines präventionsstaats.