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Prozess wegen Staatsfolter in SyrienTonaufnahme dringend gefordert

Der weltweit erste Prozess gegen einen Ex-Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes ist historisch. Eine offizielle Dokumentation fehlt – bisher.

Der Angeklagte Anwar R. im April 2020 vor Gericht in Koblenz Foto: Thomas Lohnes/reuters

Berlin taz | Der Prozess zu Staatsfolter in Syrien, der seit über einem Jahr vor dem Oberlandesgericht in Koblenz läuft, ist der weltweit erste – und hat schon deshalb historische Bedeutung. Dennoch gibt es weiterhin keine offizielle Dokumentation des Verfahrens. Das will ein Zusammenschluss von deutschen und internationalen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Menschenrechtsorganisationen jetzt ändern.

Am Donnerstag haben sie einen Antrag an das Gericht geschickt, zumindest die Schlussphase der Hauptverhandlung des so genannten Al Kahtib-Verfahrens aufzuzeichnen. Dazu würden die Plädoyers gehören sowie ein mögliches letztes Wort des Angeklagten und die Urteilsverkündung. Das Ziel solcher Aufzeichnungen: Das Verfahren für die Nachwelt zugänglich zu machen.

In dem Prozess steht seit April 2020 Anwar R. vor Gericht, ein ehemaliger Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes. Er war unter anderem für „Al Khatib“ verantwortlich, ein berüchtigtes Foltergefängnis in Damaskus. R. ist deshalb wegen 58-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen, wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung angeklagt. Anwar R. ist der Hauptangeklagte, ein Mitangeklagter ist bereits im Februar verurteilt worden – als erster Mitarbeiter des Assad-Regimes weltweit.

In Prozessen vor deutschen Gerichten gibt es in der Regel weder Ton- oder Bildaufnahmen noch Wortlautprotokolle. Bei Verfahren von herausragender Bedeutung und öffentlichem Interesse können Gerichte jedoch anordnen, sie zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken aufzuzeichnen. Diese Tonaufnahmen werden dann archiviert und unter bestimmten Bedingungen zugänglich gemacht.

Mögliche Schlüsselfunktion bei der Aufarbeitung

Das Koblenzer Oberlandesgericht hat dies bereits zweimal abgelehnt. Umstritten ist zum einen, ob es sich bei dem Verfahren um eines mit herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für Deutschland handelt. Zudem befürchtet das Gericht Auswirkungen auf die Zeugenaussagen. Aus Sicht der An­trag­stel­le­r:in­nen aber rechtfertigt das keine vollständige Ablehnung der Tonaufzeichnung.

„Der Auschwitz-Prozess, der Stammheim-Prozess und zahllose internationale Strafverfahren zeigen, dass die Dokumentation historischer Strafprozesse, auch durch Originalaufnahmen, einen wertvollen Beitrag zur außergerichtlichen Aufarbeitung, in der Bildungsarbeit und nicht zuletzt für die Forschung leisten können“, sagt Florian Jeßberger, Professor für Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität und einer der 23 Antragsteller. „Diese wichtige Funktion können auch die Tonaufnahmen des Syrien-Prozesses haben. “

„Der Al-Khatib-Prozess ist zweifellos ein Meilenstein der internationalen Strafrechtsgeschichte – der Auftakt der Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien“, sagt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). „Erstmals werden das staatliche Systemunrecht in Syrien und die Verbrechen der Assad-Regierung, die die internationale Staatengemeinschaft seit langem beschäftigen, vor Gericht verhandelt.“

Weil es keine offizielle Dokumentation gibt, berichten derzeit Mit­ar­bei­te­r:in­nen von NGOs wie dem ECCHR und dem Syria Justice and Accountability Center (SJAC) von jedem Prozesstag. Doch ihre Darstellung ist weder neutral noch vollständig. Tonaufnahmen aber, so die Argumentation der Antragsteller:innen, würden es erlauben, das Prozessgeschehen im Original, objektiv und vollständig zu erfassen. Der Dokumentation von Strafverfahren könne eine Schlüsselfunktion in der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung von Systemunrecht zukommen, heißt es weiter.

„Insbesondere für uns als Syrerinnen und Syrer ist es wichtig, dass dieser Prozess für die Nachwelt bewahrt wird. Das Verfahren in Deutschland kann die Basis werden für die weitere Aufklärung der Verbrechen in Syrien, für zukünftige Generationen und für unsere Erinnerungskultur“, sagt Mansour Omari, syrischer Journalist und Menschenrechtsverteidiger, der den Antrag ebenfalls unterzeichnet hat.

Internationale Strafgerichte zeichnen ihre Verhandlungen auf. 2017 erklärte die UNESCO die Tonaufnahmen der ersten Frankfurter Auschwitzprozesse zum Weltdokumentenerbe.

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