Prozess wegen Immobiliengeschäften: Flipping im Marburger Idyll
In der einst linken Unistadt Marburg konnten sich Betrüger auf dem überhitzten Wohnungsmarkt austoben. Nun stehen drei der Zocker vor Gericht.
Am Nachmittag des ersten Prozesstages berichtet ein Kriminalkommissar, wie so ein „Flipping“ genanntes Geschäft läuft. Nummer eins, der Angeklagte Joachim L., kauft die Immobilie X für 660.000 Euro. 17 Monate später kauft sie ihm der Angeklagte Nummer zwei, Matteo S., für 1,7 Millionen Euro ab. Nur sechs Monate später kauft sie der ursprüngliche Eigentümer wieder zurück, für 3 Millionen Euro.
Eine Wertsteigerung von mehr als 400 Prozent innerhalb von zwei Jahren, trotz Gebühren und Grunderwerbsteuern? Ein Immobilienhändler kauft sein ursprüngliches Eigentum für das Vierfache zurück und will dabei noch Gewinn machen? Wurde der Wert der Immobilien künstlich aufgeblasen, Vorwand, um Mieten zu erhöhen und Mieter aus ihren Wohnungen zu vertreiben und Kredite zu erschwindeln?
Ermittelt wird in Marburg gegen 16 Personen, Immobilienkaufleute, Banker, Juristen. Ein Notar und zwei Bankkaufleute sitzen nun auf der Anklagebank. Der Hauptangeklagte Matteo S. gibt sich zum Auftakt zerknirscht. „Er bereut zutiefst“, sagt sein Verteidiger; sein Mandant entschuldige sich bei allen, denen er geschadet habe. Leider sei der „zu aufgeregt“, um selbst Rede und Antwort zu stehen, schließlich stehe er vor den Trümmern seines Lebens, „persönlich und wirtschaftlich ruiniert“, trägt der Anwalt vor und verliest dessen Erklärung. S., 35 Jahre alt, Kochlehre und Fachhochschulstudium abgebrochen, wird in Handschellen vorgeführt. Seit dem 8. Mai ist er in U-Haft.
Erst der Anfang
Es fällt schwer, sich diesen Mann als Immobilienjongleur vorzustellen, der in kurzer Zeit ein millionenschweres Unternehmen aufgebaut hat. Es umfasste zuletzt 17 Gebäude mit mehr als 300 Mietern. S. hat Geschäfte mit mindestens sieben Kreditinstituten eingefädelt, über den Marktführer für Crowdlending, das Portal Exporo, hat er Hunderte Privatanleger gewinnen können. Vor vier Wochen ist das Kartenhaus endgültig zusammengebrochen. Der Vorstand, der inzwischen seine Unternehmensgruppe führt, hat Insolvenz angemeldet.
Und dieser Prozess ist erst der Anfang. Auch gegen S. laufen weitere Ermittlungen. Staatsanwalt Oliver Rust hat sich zunächst auf die Vorwürfe konzentriert, deren Nachweis ihm weniger kompliziert erschien. Dass beim „Immobilienflipping“ die Buchwerte mehrfach künstlich in die Höhe getrieben wurden, sei nicht so leicht nachzuweisen, sagt er.
Doch schon die Liste der in diesem Prozess verhandelten Vorwürfe gegen S. ist lang: Gewerbsmäßig begangene Untreue, Fahren ohne Führerschein, Steuerverkürzung, Kreditbetrug. Mit seinem Geständnis räumt der Hauptangeklagte immerhin ein, die Kautionen seiner MieterInnen, rund 200.000 Euro, nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben und vertraglich vereinbart, auf insolvenzfeste Konten eingezahlt, sondern in den flüchtigen Geldkreislauf seines Unternehmens geleitet zu haben.
Zudem hat er Zehntausende Euro Steuern und Sozialabgaben hinterzogen, indem er seine Angestellten zum Teil schwarz bezahlte. Als er über Exporo neue Millionenkredite einwarb, hat er Eigenkapital vorgetäuscht, das es nicht gab. Ziemlich dreist nutzte er sogar das geliehene Geld aus der ersten Emission, um es als angebliche Eigenmittel zur Absicherung der zweiten nachzuweisen.
Maserati und Audi
„Wo ist das Geld geblieben?“, dieser Frage will die Vorsitzende Richterin, Beate Mendel, im laufenden Prozess nachgehen, denn die Geschäftskonten waren häufig im Soll. Es könnte mit dem zu tun haben, was sie als „Lebenswandel“ des Angeklagten bezeichnet.
Matteo S. fuhr dicke Luxusschlitten der Marken Maserati und Audi, in den Akten ist von hohen Kreditkartenabrechnungen und sechsstelligen „Entnahmen von Bargeld“ für die private Lebenshaltung die Rede. Dass er immer wieder ohne Fahrerlaubnis am Steuer saß und bei einer Polizeikontrolle einen gefälschten bulgarischen Führerschein vorzeigte, gilt da als Petitesse.
Etwas besser ergeht es seinem ehemaligen Geschäftspartner, dem 34-jährigen Joachim L. Im Businessdreiteiler, mit Seidenkrawatte und in edlen Schuhen tritt er auf, wie man das von einem erfolgreichen Immobilienkaufmann erwartet. Doch auch er lässt lieber seinen Anwalt sprechen.
In einer Verhandlungspause am Mittag hat der mit Staatsanwaltschaft und Gericht nichtöffentlich einen Deal ausgehandelt. Danach räumt auch L. die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein. Die Kammer stellt dafür eine Bewährungsstrafe von höchstens zwei Jahren in Aussicht. Der Angeklagte L. räumt im Gegenzug ein, dass er dem mitangeklagten Notar Sven S. in der Regel nur 90 Prozent der Gebührenrechnung überwiesen habe. L. habe gewusste, dass der Notar keinen Rabatt gewähren durfte, und habe deshalb nachträglich alle Fehlbeträge bezahlt, so sein Anwalt.
Kneipenkollektiv unter den Opfern
Dieses Eingeständnis bringt seinen früheren Geschäftspartner, den Notar und Rechtsanwalt Sven S., zusätzlich in Bedrängnis. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 47-Jährigen vor, von der Rotation des Immobilieneigentums profitiert zu haben. Indem er seinen Geschäftspartnern ungesetzliche Rabatte gewährt habe, seien mindestens 600.000 Euro illegal in seine Kassen geflossen. Für Sven S. geht es um die Existenz. Wortreich kämpft er in eigener Sache: Niemals habe er seinen Stammkunden Rabatte gewährt, allenfalls die Stundung von Teilbeträgen. Im Mai hatte der Notar bei einer Vernehmung allerdings eingeräumt, sich auf Rabatte „eingelassen“ zu haben, weil L. „ihn regelrecht bequatscht“ habe.
„Ich hätte alles getan, um die Verhaftung zu vermeiden. Ich war in einer Ohnmachtssituation“, sagt der Volljurist jetzt. Der Staatsanwalt fasst nach. Verantwortliche der Stadt Marburg und der Sparkasse hätten damals wegen der Verkäufe mit exorbitanten Wertsteigerungen die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. „Hätten Sie das nicht auch tun müssen?“, fragt er den angeklagten Notar. „Ja“, antwortet der und klingt dabei ziemlich kleinlaut. Für ihn sieht es nicht gut aus.
Neben Banken und Anlegern sind vor allem die MieterInnen die Leidtragenden. Viele haben ihre Wohnungen verloren, weil die jeweils neuen Eigentümer höhere Mieten durchsetzen konnten. Wohnungen wurden in Appartements aufgeteilt, weil das höhere Renditen versprach.
Das linke Kneipenkollektiv Havanna8 ist ein prominentes Beispiel. Auch das Gebäude, in dem der Szenetreff jahrelang zu Hause war, wechselte mehrfach den Eigentümer. Matteo S. hatte damals versucht, nahezu eine Verdopplung der Miete durchzusetzen. Am Ende kündigte er den Mietvertrag, das Havanna8 wurde abgewickelt. Unter den Zuhörern im Gerichtssaal sind Paul H. und Emma F., ehemalige Mitglieder des Kollektivs. Dass ihr früherer Vermieter im Gefängnis einsitze, sei zwar „schade für ihn“. Dessen Auftritt vor Gericht nehme er ihm allerdings nicht ab, sagt Paul. Damals sei er ein „komplett anderer“ gewesen, sei arrogant aufgetreten, habe sie bedroht und Unterlassungsverfügungen angekündigt.
Exporo antwortet nicht
Die von S. gegründete und inzwischen insolvente Immobiliengruppe Deutsche Mikroappartement (DEMA) hat rund 360 MieterInnnen. Vor ein paar Wochen erreichte die eine neue Schockwelle. DEMA hatte mitgeteilt, sie müssten sich ab sofort selbst um die Anmeldung von Strom, Gas und Wasser kümmern, andernfalls werde die Versorgung eingestellt. Der Mieterschutzverein schlug Alarm, denn in vielen der Häuser sind Zimmer einzeln vermietet, es gibt nur Gemeinschaftszähler. Die Zumutung ist inzwischen offenbar vom Tisch.
Gegenüber der taz erklärte der vorläufige Insolvenzverwalter, Zahlung und Abrechnung der Versorgung seien wieder sichergestellt. MieterInnen, die auf die Forderung eingegangen seien und neue Verträge abgeschlossen hätten, könnten die rückabwickeln. Bleibt allerdings die Ungewissheit. Im Rahmen der Insolvenz komme ein Verkauf der Immobilien „in toto“ in Frage, aber auch der Verkauf einzelner Objekte, so der Insolvenzverwalter zur taz. Die Mietverträge würden weiter gelten.
Ob die bis zu 700 Anleger, die 3,1 Millionen Euro in dieses Unternehmen investiert haben, ihr Geld wiedersehen, bleibt offen. Bei der Emission waren ihnen Zinssätze von 5 bis 5,5 Prozent und die Rückzahlung bis Ende 2020 zugesichert worden. Eine Anfrage der taz ließ das Portal exporo unbeantwortet. Auf die Frage, wie seinerzeit die Bonität von Matteo S. geprüft wurde, gab es ebenfalls keine Antwort. Das Unternehmen, laut Eigenwerbung „Fundament renditestarker Zinsen“, reagierte offenbar nur in einem Punkt.
Die taz hatte gefragt, warum trotz Insolvenz die DEMA-Portfolien Marburg I und II auf der Firmen-Homepage als „erfolgreich finanziert“ aufgeführt waren. Inzwischen sind sie von der Liste verschwunden.
Nächster Gerichtstermin am 11.12.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind