Prozess wegen Brandanschlägen: Obdachloser zündet Obdachlose an

Vor dem Hamburger Landgericht muss sich seit Mittwoch ein 35-Jähriger verantworten. Er soll im Frühjahr mehrere ebenfalls Obdachlose attackiert haben.

Der Angeklagte hält sich vor Gericht einen blauen Hefter vors Gesicht

Schweigt zu den Vorwürfen: Angeklagter vor dem Hamburger Landgericht Foto: Markus Brandt/dpa

HAMBURG taz | Zu Beginn des Prozesses sitzt der angeklagte Arkadiusz W. ruhig da und starrt mit leerem Blick zu den Fenstern des Gerichtssaals im Hamburger Strafjustizgebäude, durch die man auf die angrenzende Haftanstalt blicken kann. Dort sitzt er seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Die Ruhe, die der Angeklagte ausstrahlt, passt kaum zu den Vorwürfen, die die Staatsanwaltschaft gegen ihn am Mittwoch ausführt.

Sie wirft ihm den versuchten Mord zweier Obdachloser in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie vorsätzlicher Körperverletzung vor. W. soll dabei heimtückisch und grausam gehandelt haben. Begangen haben soll der 35-Jährige die Taten im Mai und Juni dieses Jahres.

So soll es im Mai am Bahnhof Altona zu einem Streit zwischen ihm und einem 34-Jährigen gekommen sein. Im Zuge des Handgemenges soll er laut Anklage den Schlafsack des Opfers angezündet haben.

Nur wenige Wochen später kam es zu einer weiteren Attacke auf einen Obdachlosen. Während dieser schlief, soll der Angeklagte eine brennende Flüssigkeit über den Jackenärmel des Opfers gegossen haben, wodurch es Verbrennungen am rechten Oberarm erlitt. Ein unbekannter Mittäter filmte die Tat. Das Video, das W. auf seinem Handy gehabt haben soll, gilt als wichtiger Beweis.

Der Angeklagte schweigt

Einem dritten Obdachlosen soll der 35-Jährige nach einem Streit am Hauptbahnhof einen Faustschlag ins Gesicht versetzt haben. Die am Mittwoch vernommenen Zeugen berichteten teils davon, dass der Angeklagte zu den Tatzeitpunkten betrunken gewesen sei. Das habe er, so einer der Zeugen, an der „lallenden Sprache“ erkennen können.

W. war, wie die beiden Opfer, zu dieser Zeit obdachlos und nach Angaben des Landgerichts alkoholabhängig. Zu Beginn des Prozesses erklärte sein Anwalt, dass der Angeklagte sich nicht zu den Vorwürfen äußern wolle.

Jedoch schilderte eines der Opfer am Mittwoch einen der Brandanschläge. Da der Geschädigte obdachlos sei und kein direkter Kontakt bestehe, war zuvor zwar auch dem Gericht nicht klar, ob er als Zeuge erscheinen würde. Doch er tat es.

Christopher A. sei gelernter Metallbauer und lebe schon lange Zeit auf der Straße. Der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann fragt direkt, ob er heute etwas getrunken habe. „Ja, so 20 Kurze“, antwortet er. Er sei vor vier Tagen aus der Entgiftung entlassen worden. „Und wieso direkt wieder am trinken?“, fragt der Richter. A. zuckt mit den Schultern: „Umfeld eben.“

Opfer kann sich kaum erinnern

Auf den Vorfall am Altonaer Bahnhof angesprochen, gibt er an, an diesem Abend „total breit gewesen“ zu sein – er könne sich kaum erinnern. Er habe in der öffentlichen Toilette des Bahnhofs Altona geschlafen und sei davon aufgewacht, dass es „warm wurde“. Dann habe er festgestellt, dass sein Schlafsack brennt. Diesen habe er dann direkt mit einem Bier gelöscht. „Ich kann aber nicht sagen, ob der das war“, sagt A. anschließend und nickt in die Richtung des Beschuldigten.

Es habe auch nur ein bisschen gebrannt und sei „gar nicht so schlimm gewesen“. Dabei zieht er seinen Pullover nach oben und zeigt dem Richter seinen vermeintlich verletzten Arm. Der Richter inspiziert den Arm nur von Weitem und sieht dabei nicht sonderlich geschockt aus.

„Kennen Sie den Beschuldigten denn?“, fragt er dann. – „Ja wir sind befreundet“. Sichtlich verwundert fragt der Richter, ob die beiden sich gestritten hätten. Nein, ganz im Gegenteil, man passe aufeinander auf, antwortet das Opfer. In der Vergangenheit habe es zwar kleinere „Streitereien unter Kumpels“ gegeben, aber nichts Gravierendes.

Die Frage, wer der Täter gewesen sein könnte, kann A. nicht beantworten, er habe schließlich „fest geschlafen und nichts mitgekriegt“.

Am Ende der Befragung steht der Betroffene auf und fragt den Richter, ob er sich noch kurz verabschieden könne. Ohne eine Antwort abzuwarten, streckt er dem Angeklagten seine Hand entgegen, der sie wohlwollend schüttelt. Auch hierbei wirkt der Angeklagte überraschend ruhig. Jedoch auch ein wenig erleichtert.

Fünf weitere Verhandlungstermine hat das Landgericht bis Ende Januar angesetzt.

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