Prozess um Veruntreuung in Bremen: Betrügerpaar darf sich bewähren
Vielfach sollen ein Juraprofessor und die Vorsitzende der Grass-Stiftung Geld veruntreut haben. Opfer waren die Stiftung – und die eigenen Kinder.
Doch die Angeklagte, die ehemalige Vorsitzende der Stiftung, sowie ihr ebenfalls angeklagter Mann, ein ehemaliger Juraprofessor der Uni Bremen, bleiben dem Prozess unentschuldigt fern. Die Anklage wird nicht verlesen, statt eines klassischen Urteils gibt es ohne Verhandlung einen Strafbefehl: Ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verhängt die Richterin auf Antrag der Staatsanwaltschaft für jede*n der beiden Angeklagten sowie jeweils 120 Tagessätze Geldstrafe.
Das Ehepaar kann dagegen noch Einspruch einlegen. Doch mit einem Strafbefehl, über den ein Gericht nie mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe verhängen kann, sind die beiden womöglich gar nicht schlecht gefahren. Vorgeworfen nämlich wird den Angeklagten Untreue (beziehungsweise die Anstiftung dazu) in insgesamt 80 Fällen und Betrug in zwei Fällen. Ihre Opfer: die Grass-Stiftung, zwei Handwerksunternehmen und die eigenen Kinder. Insgesamt 81.000 Euro Schaden sind entstanden.
In die Öffentlichkeit kam 2018 vor allem der Fall rund um die Stiftung. Die Angeklagte hatte dort als Geschäftsführerin die alleinige Kontovollmacht. 2017 begann sie, laut Gericht angestiftet von ihrem Mann, Geld der Stiftung abzuheben – vorgeblich für die Bargeldkasse. Tatsächlich aber leitete das Paar über 31 solcher Transaktionen insgesamt 23.660,16 Euro in die eigene Tasche um. Als Grund gaben die beiden Geldnot an.
Viel Geld zu holen gibt es nicht
Für die Grass-Stiftung hätte das existenzbedrohend sein können – immerhin etwa ein Drittel des Jahresetats fiel weg. Doch ein privater Spender sprang mit der kompletten Summe ein. Die Angeklagten müssen den Schaden nun ersetzen. „Wir erwarten schon, dass das Geld zurückkommt“, sagt der ehemalige Geschäftsführer Horst Monsees. „Dringend darauf angewiesen sind wir dank der Spende zum Glück nicht.“
Das ist gut für die Stiftung, die gerade in die Bremer Überseestadt umzieht. Schon die recht geringen Tagessätze von 10, respektive 20 Euro für Ehefrau und Ehemann weisen darauf hin, dass es um die Finanzen der Familie nicht gut stehen dürfte. Vor allem aber gibt es noch weitere offene Forderungen gegenüber den L.s.
Die beiden Anklagen wegen Betrugs belaufen sich auf zusammen knapp 6.000 Euro: Zweimal hatten die L.s demnach Handwerkerarbeiten durchführen lassen, obwohl sie wussten, dass sie die Rechnung nicht würden zahlen können. Dazu kommen weitere Fälle von Veruntreuung: Die beiden minderjährigen Kinder des Ehepaares hatten demnach jeweils knapp 100.000 Euro aus einer Erbschaft erhalten. Die L.s sollen 57.000 Euro davon für eigene Zwecke abgehoben haben.
Familie lebte in Hotels und fremden Häusern
Nicht alle Fälle, mit denen das Ehepaar sich Leistungen erschlichen hat, sind tatsächlich vor Gericht gelandet. Der Weser Kurier berichtet 2018, dass die Familie sich immer wieder in besseren Hotels der Stadt einquartiert habe – monatelang, bis sich jeweils die Zahlungsunfähigkeit herausgestellt habe.
Im Zuschauerraum für den nicht stattfindenden Prozess sitzt auch Peter Bischoff, ebenfalls Geschädigter: Ende 2013 hatte er der Familie ein Haus verkaufen wollen. Über ein halbes Jahr, so stellt es Bischoff in eigenen Aufzeichnungen über den Kontakt dar, habe L. immer wieder neue Ausreden gefunden, warum der Kaufpreis gerade noch nicht überwiesen werden konnte: Probleme bei der Bank, säumige Mandant*innen, Terminkollisionen.
Vom Kaufvertrag trat Bischoff dann Ende 2014 zurück. Kosten hatte er dennoch: Auf Makler- und Notargebühren sei er sitzen geblieben, außerdem habe er sein Haus zwangsverkaufen müssen und so großen Verlust gemacht. Bei anderen Immobilienkäufen sollen die L.s erfolgreicher gewesen sein – dort konnten sie laut Weser Kurier monatelang in den nicht bezahlten Villen leben, bevor sie auch dort aus den Kaufverträgen geworfen wurden.
Die Staatsanwaltschaft hielt diese Fälle nicht für versuchten Betrug. Bischoff glaubt anderes: „Als Juraprofessor weiß der doch ganz genau, was ihm gerade noch nicht als Betrug ausgelegt wird“, sagt er am Rande des Prozesses ohne Verhandlung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?