Prozess um Polizeigewalt: Zeuge wird zum Angeklagten
Im Prozess gegen einen Polizisten, der im Abschiebegefängnis Köpenick einen gebürtigen Ghanaer geschlagen haben soll, wird die Wahrheitsfindung zur Farce. Richter verwechselt Opfer mit Täter.
Das Verfahren gegen den Polizeibeamten Oliver Fritz. R, der im Abschiebegefängnis in Köpenick den gebürtigen Ghanaer Peter Kwasi Gyimah geschlagen haben soll, ist bis auf weiteres ausgesetzt. Die Rechtsanwältin von Gyimah hat einen Befangenheitsantrag gegen den Richter gestellt. Denn Freudsche Fehlleistung hin oder her, als der Richter den gebürtigen Ghanaer, während seiner Zeugenbefragung als "der Angeklagte" bezeichnete, war eine Grenze überschritten. " 'Angeklagter' sagen Sie", rief die Rechtsanwältin Beate Böhler, die Gyimah vertritt, "der Angeklagte sitzt da drüben!" Sie zeigte auf Oliver Fritz R., einen 40-jährigen Polizisten, der trotz der Klage gegen ihn weiterhin im Abschiebegefängnis in Köpenick arbeitet.
Dass es überhaupt zum Prozess gegen Oliver Fritz R. kam, ist ungewöhnlich. Es ist der dritte juristische Schritt in einer Geschichte, die sich am 12. November 2003 ereignete. Damals wurde Gyimah, der bereits über ein halbes Jahr im Abschiebeknast saß, gewaltsam vom Waschraum im Abschiebegefängnis geholt. Man wollte den Diabeteskranken ins Krankenhaus fahren, weil er bis auf Obst die Nahrung verweigerte. Dabei, so Gyimahs Aussage, wurde er geschlagen.
Unstrittig ist, er hatte nach dieser Prozedur, in der er gewaltsam gefesselt wurde, ein Hämatom an der Wange und eine Schürfwunde. Die Polizeibeamten indes behaupten seither wie im Chor, er habe sich die Wunde an der Backe selbst zugefügt, indem er in der Zelle und später auch im Polizeiwagen mit dem Kopf gegen die Wände schlug.
Der erste Schritt der Wahrheitssuche war eine Strafanzeige gegen Gyimah: Er habe sich gegen eine Polizeimaßnahme gewehrt. Die Anzeige wurde zurückgezogen. Gyimah selbst erstattete nicht Anzeige gegen die Beamten, da er davon ausging, man würde ihm nicht glauben.
Dass nun dennoch Polizisten vor Gericht stehen, geht auf Querelen unter den Beamten, die im Abschiebegefängnis arbeiteten, zurück. Einer nämlich beschuldigte einen weiten namens Christian S., Gyimah geschlagen zu haben. Bei der Verhandlung im März 2006 wurde Gyimah als Zeuge geladen. Er entlastete S., weil er Oliver Fritz R., der ihn geschlagen haben soll, unter den Zuhörern im Saal erkannte.
Bei der Verhandlung gegen R. am Freitag überraschte der Richter. Zuerst lehnte er die Prozesskostenhilfe für Gyimah ab. Als Zeuge brauche dieser keinen juristischen Beistand. In der Zeugenbefragung indes wurde deutlich, dass er sie sehr wohl braucht. Denn plötzlich stellte der Richter nicht mehr die Anklage gegen den Beamten auf den Prüfstand, sondern Gyimahs Glaubwürdigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!